Die „Horrorvorstellung“ ist jetzt Wirklichkeit

Wiesbaden · In der Vergangenheit flogen zwischen CDU und Grünen in Hessen regelmäßig die Fetzen. Plötzlich ist alles anders.

Plötzlich stehen sie gestern erstmals als künftige Regierungspartner nebeneinander: der hessische CDU-Vorsitzende Volker Bouffier und sein Grünen-Kollege Tarek Al-Wazir. Im Hotel "Oranien" in Wiesbaden beginnen sie ihre Koalitionsverhandlungen. Das Hotel ist christlich geführt - ein guter Ort, um die Vergangenheit zu beerdigen und Vergebung walten zu lassen.

CDU und Grüne in Hessen - das ging bislang gar nicht zusammen. Bis wenige Tage vor der Wahl war ein Bündnis mit den Schwarzen für Al-Wazir eine "Horrorvorstellung", Bouffier tadelte er auf Twitter einen Rechtspopulisten. Für die CDU wiederum war der Grünen-Chef mit seinem Anspruch auf das Wirtschaftsministerium der Tod des Mittelstands. Und die Grünen-Politik zwischen Tempo 30 und Veggie-Day nannte der alte und wahrscheinlich auch neue Ministerpräsident "irre".

Doch solche Wahlkampfbosheiten wollen beide nun nicht mehr kommentieren. Schon in den zwei Monate währenden Sondierungen haben die Parteien einander mit ihrer Professionalität beeindruckt. Nun machen sie Tempo: Bereits in drei Wochen soll das erste schwarz-grüne Bündnis in einem Flächenland ausgehandelt sein. Man freue sich auf die gemeinsame Arbeit, verkündete Bouffier.

Echte Begeisterung über den Brückenschlag, über den Aufbruch zu neuen Bündnis-Optionen wollen er und Al-Wazir aber nicht aufkommen lassen. "Historisch ist so ein großes Wort", wiegelt der Grüne ab. Als Zweckbündnis auf Zeit hat er die Koalition am Wochenende beschrieben. Bouffier wird nicht müde zu erklären, dass man in der Politik Kompromisse machen muss, um gestalten zu können. Wie sich der Unions-Mann das schwarz-grüne Kräfteverhältnis vorstellt, erläutert er so: Die CDU sei die einzig verbliebene Volkspartei. "Es ist gut für das Land, dass es eine Partei gibt, die alle Bürgerinnen und Bürger anspricht, und eine kleinere Partei mit besonderen Schwerpunkten."

Im Sitzungssaal geht es vor Beginn etwas bemüht locker zu. Man plaudert über Fußball, die Lage der Frankfurter Eintracht. Der frühere Bundesverteidigungsminister und hessische CDU-Vize Franz Josef Jung erzählt von Großtaten im Fußballteam des Landtags. "Ich habe Rechtsaußen gespielt", berichtet der konservative Fraktionschef Christean Wagner aus alten Zeiten. Und das bestimmt sehr widerwillig, wird auf grüner Seite des Tisches gescherzt.

Wagner, ausgestattet mit schwarz-grau-grüner Krawatte, rüffelt milde den CDU-Fraktionsgeschäftsführer Holger Bellino: Dessen lindgrüner Schlips sei für den Anlass nicht grün genug.

Doch bis die Parteien zueinander finden, wird es wohl noch dauern. Die Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach, auch eine Größe in der Hessen-CDU, twitterte einen vergifteten Gruß an die Grünen: "Straßenschläger und Pädos sind auf dem Altenteil, also Koalition versuchen: Schwarz-Grün wagen".

Vor allem Al-Wazir muss sich wegen seines Schwenks reichlich Spott und Kritik von Sympathisanten eines wie auch immer gearteten linken Politikwechsels in Hessen anhören. "Wer grün wählte, hat seine Stimme verschenkt", schimpft einer gegen die "grüngetünchten Neoliberalen".

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