Schottland träumt wieder von der Unabhängigkeit

Edinburgh · Die Schotten sind für Europa. Zwei Drittel wollen deshalb auch gegen einen EU-Austritt Großbritanniens stimmen. Aus pragmatischen Gesichtspunkten. Und dabei geht es ihnen um mehr als bessere Jobchancen und Geld.

Dieses Mal zieht Isla Whateley nicht mit Handzetteln sowie einer politischen Botschaft von Tür zu Tür. Dieses Mal fiel es ihr schwer, überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Wochenlang wägte die 19-jährige Studentin ab, nun ist sich die Schottin endlich sicher: Beim Referendum über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU stimmt sie für den Verbleib. Während sie sich vor knapp zwei Jahren vor dem Unabhängigkeits-Referendum in Schottland politisch engagierte und mit Leidenschaft für die Eigenständigkeit des nördlichen Landesteils vom Vereinigten Königreich kämpfte, dominieren nun pragmatische Gründe. Ein Brexit berge einfach zu viele Risiken, sagt Whateley, die aus Glasgow stammt und derzeit in Edinburgh studiert.

Genau wie Whateley gelten viele Schotten und Nordiren als besonders europafreundlich. Laut einer Erhebung des Instituts TNS wollen gut 71 Prozent der Schotten fürs Bleiben stimmen. "Wir wissen, wie sehr wir von der EU profitieren", sagt Stephen Gethins, Abgeordneter der Schottischen Nationalpartei (SNP). Eine Mitgliedschaft lohne sich hinsichtlich der Arbeiterrechte und deren Schutz. Hinsichtlich des Umweltschutzes und des Klimawandels. Hinsichtlich der Wirtschaft und des Zugangs der Unternehmen zum EU-Binnenmarkt. Sollte es bei der Volksabstimmung zu einem knappen Ergebnis kommen, wie Experten erwarten, "hätten Schottland und Nordirland ohne Zweifel den Ausschlag dafür gegeben, dass das Vereinigte Königreich in der EU bleibt", sagt John Curtice, Politikprofessor an der Uni Glasgow.

Was aber, wenn die Briten "gegen den Willen Schottlands" für den Brexit stimmen? "Das würde ziemlich bedeutende Fragen bezüglich der Zukunft des Vereinigten Königreichs aufwerfen", so Gethins. Die Debatte über die EU-Mitgliedschaft ist eng mit der Frage der Autonomie des nördlichen Landesteils verknüpft. "Mein einziges Ziel ist die Unabhängigkeit Schottlands", sagte kürzlich ein SNP-Parlamentarier hinter vorgehaltener Hand. Heißt das, dass er insgeheim auf einen Austritt des Königreichs aus der EU hofft, um so eine neue Volksabstimmung in Schottland zu erzwingend? Er lächelte nur milde. Doch auch Ex-Ministerpräsident Schottlands, Alex Salmond, betonte mehrfach, ein Brexit gegen den Willen der Schotten würde ein erneutes Referendum rechtfertigen.

Angesichts der aktuellen Umfragen warnte in seiner Panik sogar der britische Premierminister David Cameron vor einem Auseinanderbrechen des Königreichs und nutzte die Schotten als Waffe im Kampf um den Verbleib. Er befürchte ein zweites Schottlandreferendum, sollte es zum Brexit kommen. Die derzeitige Ministerpräsidentin Schottlands, Nicola Sturgeon, schließt zwar nichts aus, aber wiegelt regelmäßig ab, wenn die Frage aufkommt. Eine Volksabstimmung würde nur dann wieder zum Thema, wenn sich eine klare Mehrheit für die Eigenständigkeit abzeichne. Die aber scheint in weiter Ferne.

Auch Isla Whateley würde erst einmal kein neues Referendum wollen. "Damals wählte ich Ja in der Hoffnung, dass Schottland in der EU bleiben kann." Was bei einem Brexit wird? Sie weiß es nicht.

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