Leitartikel zu EU-Gipfel Ohne Handelsabkommen gibt es nur Verlierer

Die üblichen Phrasen, derer sich London und Brüssel bisher bedienten, klingen längst verbraucht. „Kein Deal um jeden Preis“ oder „Der Ball liegt im Spielfeld von…“ – man hat das alles in diesem Poker so oft gehört, dass es schwerfällt, dem öffentlichen Bild der Verhandlungen zu glauben.

 Detlef Drewes

Detlef Drewes

Foto: Lorenz

Beide Seiten signalisieren in diesen Tagen einmal mehr die Enttäuschung über fehlende Fortschritte, an denen – welch Überraschung! – der jeweils andere Partner schuld ist. Inzwischen stellt man zwar auf beiden Seiten eine sich behutsam verändernde Tonlage fest, bei der noch unklar ist, ob sie durch Fakten oder Hoffnung genährt wird. Auch Europa weiß, dass es den Briten entgegenkommen muss – zum Beispiel in der prestigeträchtigen Frage der künftigen Fangquoten. Aber Brüssel tut sich schwer, solange die britische Seite keine konkreten Zahlen über die Quoten für über 100 verschiedene Fischarten vorlegt. Großbritannien wiederum habe, so ist zu hören, bei der Streitschlichtung und damit der Rolle des Europäischen Gerichtshofes seine bisherige strikte Position verändert.

In den Analysen der Wirtschafts- und Industrieverbände wird das zu erwartende Chaos für ein Ausscheiden des Vereinigten Königreiches aus dem Binnenmarkt und der Zollunion plastisch beschrieben. Auf der britischen Seite macht sich offenbar schrittweise die Erkenntnis breit, dass nicht alle Katastrophenszenarien übertrieben waren. Tatsächlich hängen London und Brüssel viel zu eng aneinander, um schadlos ohne Abstimmungen voneinander lassen zu können. Der Brexit und seine Konsequenzen haben schon jetzt tiefe Wunden geschlagen –  emotional und materiell. Die Vorbereitungen der Unternehmen auf ein mögliches Desaster ab dem 1. Januar 2021, wenn praktisch kein bisheriges Dokument mehr gilt, aber auch niemand weiß, was dann für den Im- und Export nötig ist, verschlingen Milliarden. Briten wie Europäer hätten diesen „Kriegsschauplatz“ gerade in einer Pandemie, die ohnehin schon beide Seiten empfindlich trifft, wirklich nicht gebraucht. Umso unverständlicher bleibt es, dass es immer noch jene gibt, die glauben, sie könnten mit Ultimaten und Druck einen Sieg über den anderen davon tragen. Es ist ein Irrtum: Wenn ein Handelsabkommen nicht bald erreicht wird, gibt es nur Verlierer. Nicht mal diese Erkenntnis ist neu.

Die stoische Gelassenheit des EU-Gipfels täuscht. Nach außen wollen die Staats- und Regierungschefs der EU den Eindruck vermitteln, sich nicht von Johnson erpressen zu lassen, zumal der mit seiner Attacke auf den Ausstiegsvertrag in Sachen irischer Grenze das ohnehin schwindende Vertrauen in ihn als seriösen Partner restlos aufgebraucht hat. Dabei wissen doch beide Seiten, dass sie nur durch Kompromisse einigermaßen unbeschädigt aus der Nummer wieder rauskommen. Noch bleiben zwei, drei Wochen. Es wird Zeit, dass die Führungen Großbritanniens und der Europäischen Union ihren Delegationen freie Bahn geben, um zu Vereinbarungen zu kommen. Denn es kann und darf einfach nicht sein, dass zwei Partner, die auch künftig gut zusammenarbeiten müssen, keine Lösung für ihr Miteinander finden.

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