Leitartikel Tiefpunkt der amerikanischen Debattengeschichte

Seit John F. Kennedy und Richard Nixon vor 60 Jahren den Anfang machten, gehören Präsidentschaftsdebatten zu amerikanischen Wahlkämpfen wie das Weiße Haus zur Pennsylvania Avenue. Längst nicht alle waren so packend, so aufschlussreich, dass es den Hype, der jedem einzelnen Fernsehduell  vorausging, gerechtfertigt hätte.

 Herrmann Frank

Herrmann Frank

Foto: SZ/Robby Lorenz

An die Grundregeln der Etikette indes haben sich die Duellanten noch immer gehalten. Bis Donald Trump kam. Ein Mann, der auf Anstandsregeln pfeift, wenn sie seinen Zielen im Wege stehen.

Schon vor vier Jahren versuchte er, seine Kontrahentin Hillary Clinton aus dem Konzept zu bringen, indem er ihr ständig ins Wort fiel. Nun wiederholte er es, weil er hoffte, durch permanente Zwischenrufe Joe Biden aus der Fassung zu bringen, den 77-Jährigen als stotternden Tattergreis zu porträtieren. Wer gehofft hatte, doch noch einen reiferen, irgendwie präsidial wirkenden Donald Trump zu erleben, musste sich in der Nacht zum Mittwoch von allen Illusionen verabschieden.

Es kam noch schlimmer als selbst die größten Pessimisten erwartet hatten. Mit der Farce von Cleveland dürfte der Tiefpunkt der amerikanischen Debattengeschichte erreicht sein. Der bisherige Tiefpunkt, sollte man vorsichtigerweise hinzufügen. Denn niemand weiß, wozu ein Mann, der keinerlei Hemmschwelle zu kennen scheint, noch fähig ist. Für die letzten Wahlkampfwochen bis zum 3. November sind damit die Weichen gestellt. Dass es eine Schlammschlacht werden würde, war vorher klar. Den Kontrahenten verbal mit Dreck zu bewerfen – auch das ist nichts Neues. Das gab es auch schon bei Duellen, die verglichen mit dem aktuellen fast schon als Sternstunden zivilisierter  Diskurse gelten müssen. Und der überaus gereizte Ton, den beide Protagonisten anschlugen, spiegelt im Grunde nur wider, wie unüberbrückbar tief die politischen Gräben Amerikas im Moment sind. Dabei überschritt der Amtsinhaber zugleich eine Schwelle, die bislang keiner seiner Vorgänger auch nur ansatzweise zu überschreiten gewagt hätte. Er bestand hartnäckig darauf, das Wahlergebnis nicht anerkennen zu wollen. Doch für seine Begründung, wonach beim Briefwählen massiv betrogen wird, gibt es in einem Land, in dem bei den Kongresswahlen des Jahres 2018 rund ein Drittel der Wähler per Post abstimmte, keine stichhaltigen Belege.

Dass er diese Argumentation dennoch bei jeder Gelegenheit wiederholt, dass er das Szenario des Briefwahlbetrugs bei der Debatte einmal mehr in düsteren Farben ausmalte, legt eine Befürchtung nahe: Liegt Trump in der Nacht nach der Wahl vorn, könnte er sich zum Sieger ausrufen, ohne die Auszählung von Millionen von Briefwählerstimmen abzuwarten. Wohin dies führen würde, ob zu wochenlangen Irritationen oder aber im schlimmsten Fall sogar hier und da zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, vermag aus heutiger Sicht niemand seriös zu beurteilen. Eine Prognose kann man jedenfalls wagen: Trump wird nichts tun, um zur Beruhigung der Lage beizutragen.

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