FDP-Parteitag Mit den Liberalen zurück in die Zukunft

Was liberal eigentlich bedeutet, das können sowieso nur Liberale definieren, denn der Begriff ist schillernd. Besonders gekonnt wusste bisher Christian Lindner, der Vorsitzende der FDP, darüber zu reden.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Aber auf Corona hat auch Lindner beim Parteitag in Berlin keine neuen Antworten gegeben. Sondern nur die alten. Eigentlich lautete seine Hauptbotschaft: Alles soll so schnell wie möglich wieder so werden, wie es vorher war. Mit der FDP zurück in die Zukunft. Also Steuersenkungen, weniger staatliche Bevormundung, weniger Bürokratie. Mehr individuelle und wirtschaftliche Freiheit. Die Partei will nicht mehr immerzu hören, dass für ihre Forderungen jetzt nicht die richtige Zeit sei.

Grundsätzlich ist eine wirtschaftsliberale Position wichtig, weil die große Koalition das Geld gerade ausgibt, als gäbe es kein Morgen mehr. Aber muss nicht die Erfahrung einer weltumspannenden Pandemie doch hier und da zu einer veränderten Sicht auch bei den Kernthemen der FDP führen? Zum Beispiel in der Steuerpolitik: Die Forderung nach Steuersenkung für die mittleren Schichten ist richtig, weil deren Belastung seit langem zu hoch ist. Aber in Zeiten so großer finanzieller Herausforderungen und erheblicher sozialer Nöte ist es falsch, Großverdiener und superreiche Erben nicht stärker zur Bewältigung der Lasten heranzuziehen. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit.

Revidieren sollte die FDP wohl auch ihr liebevoll gepflegtes Bild vom bösen Staat und von der bremsenden „Bürokratie“. Die Erfahrungen mit der Pandemie zeigen, dass es eher um einen besseren, also effektiveren Staat und um eine bessere Bürokratie gehen muss statt nur um weniger. Wo sind die Reformkonzepte für die Verwaltung, vielleicht sogar für das von der FDP als Wähler­klientel besonders geschätzte Berufsbeamtentum? Oder beim Klimaschutz: Mit Appellen an die Vernunft, der Betonung individueller Freiheit und der Hoffnung auf technische Wunderlösungen wird die kommende Weltkrise so wenig zu bewältigen sein wie die aktuelle. Die Menschheit muss auch verzichten lernen und vor allem solidarisch sein, um das zu schaffen. Beides sind bisher keine liberalen Maximen. Nur in der Bildung hat die FDP seit langem ein Konzept, das auch der Corona-Erfahrung standhält: eine massive Investitions- und Qualitätsoffensive, um wirklich für alle Kinder Aufstiegschancen zu schaffen.

Auf die meisten Fragen, die Corona an die Politik stellt, hat der FDP-Parteitag keine Antworten gegeben, sie nicht einmal debattiert. Stattdessen hat man sich in Berlin mit der zweitrangigen Personalie des neuen Generalsekretärs beschäftigt und mit der erstrangigen, ob der Vorsitzende, der bei den Liberalen alle Macht auf sich vereint, immer noch fest im Sattel sitzt. Die Antwort: Er sitzt. Momentan. Aber das Fass des Unmuts über Christian Lindner, seine Selbstherrlichkeit und seinen gewissen Hang zum Chauvinismus hat sich auch in Berlin wieder um ein paar Tropfen gefüllt.

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