Leitartikel Franzosen haben Vertrauen in die Regierung verloren

Die Corona-Pandemie deckt in Frankreich schonungslos die Schwächen des staatlichen Gesundheitssystems auf. Schon bei der ersten Welle im Frühjahr wurde deutlich, dass die Krankenhäuser im ganzen Land für diese Notlage zu schlecht ausgerüstet sind.

Knut Krohn

Knut Krohn

Foto: SZ/Lorenz Robby

Es fehlte nicht nur an Personal, sondern auch an Betten und geeigneten Geräten. Die Verantwortung dafür trägt die aktuelle Regierung, die den Spardruck stark erhöht hatte. Allein 2019 wurden zur Senkung des Milliarden-Defizits der öffentlichen Krankenhäuser 3400 Betten in Frankreich eingespart. Schuld an der Misere haben aber auch die Vorgänger der heutigen Minister: in den vergangenen 20 Jahren wurden insgesamt 100 000 Betten gestrichen. Auf dem Höhepunkt der Pandemie hat die Politik dann eiligst Gegenmaßnahmen beschlossen. Nach nächtelangen Krisensitzungen mit den Krankenhäusern wurden 4000 zusätzliche Betten zugesagt – passiert ist bisher allerdings nichts. Das Klinikpersonal, dem einst jeden Abend applaudiert wurde, ist deswegen mehr als frustriert und hat im Oktober zu Streiks aufgerufen.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Corona-Tests. Die Politik fordert die Franzosen auf, sich testen zu lassen, doch das Gesundheitssystem ist heillos überfordert. Vor den Testzentren bilden sich lange Schlangen, und wer das Glück hat, getestet worden zu sein, der muss zu lange auf sein Ergebnis warten.

Die Franzosen haben angesichts dieser grundsätzlichen Probleme das Vertrauen in die Regierung verloren. Erstaunt blicken sie immer wieder über die Grenze nach Deutschland, wo die Pandemie wesentlich besser unter Kontrolle zu sein scheint als in Frankreich. Auch könnte der Kontrast im Regierungsstil zwischen Angela Merkel und Emmanuel Macron im Moment nicht größer sein. Wo die Kanzlerin von Anfang an versucht, ruhig und fast stoisch den Ernst der Lage zu erklären, lässt der französische Präsident eine klare Linie vermissen. Zuerst schweigt er über Wochen, spricht dann in einer dramatischen Rede alarmistisch vom „Krieg“ gegen das Virus, um kurz darauf zu versichern, alles völlig unter Kontrolle zu haben – trotz dramatisch steigender Infektionszahlen.

Im Sommer folgte dann ein weiterer unrühmlicher Höhepunkt. Macron setzte seinen erfolgreichen Regierungschef Edouard Philippe vor die Tür, weil dieser als entschlossener Krisenmanager in den Augen des Volkes dem mäandernden Präsidenten den Rang abgelaufen hatte. Angesichts des Wirrwarrs an der Spitze des Staates sieht sich ein Großteil des Volkes offensichtlich auch nicht an Regeln gebunden. In Frankeich gelten zwar Hygienevorschriften, die so drastisch sind wie in kaum einem anderen Land Europas – doch zu viele Menschen halten sich nicht konsequent daran. Im Sommer waren es Familienfeiern, die zu Infektionsherden wurden, nach dem Urlaub sind es nun die Büros und vor allem Universitäten. Die Regierung schließt bis jetzt einen totalen Corona-Lockdown wie im Frühjahr aus. Mit gezielten Maßnahmen soll die Ausbreitung des Virus kontrolliert werden. Doch das Wort der Regierenden wiegt für viele Franzosen nicht mehr allzu viel.

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