EU und Großbritannien Der harte Bruch rückt näher

London · An diesem Dienstag beginnt die achte Verhandlungsrunde über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU. Doch Premier Boris Johnson zeigt kein Entgegenkommen.

 Der britische Premierminister Boris Johnson verlangt von der EU bis zum 15. Oktober eine Einigung auf einen Vertrag über die künftigen Beziehungen, damit dieser bis 1. Januar 2021 noch ratifiziert werden könne.

Der britische Premierminister Boris Johnson verlangt von der EU bis zum 15. Oktober eine Einigung auf einen Vertrag über die künftigen Beziehungen, damit dieser bis 1. Januar 2021 noch ratifiziert werden könne.

Foto: dpa/Toby Melville

In Großbritannien gilt bis heute eine Aussage der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher als legendär, die da lautet: „The lady’s not for turning“. Es handelt sich um eine ironische Anspielung auf ein Theaterstück aus den 40er Jahren und sollte so viel heißen wie: Thatcher ist keine Frau der Kehrtwenden und Kompromisse. Denselben Starrsinn wie die Galionsfigur der konservativen Tories will die britische Regierung offenbar nun in den Brexit-Verhandlungen demonstrieren, die an diesem Dienstag in eine neue Runde gehen.

Es ist mittlerweile die achte, doch die Aussicht auf einen Durchbruch in den festgefahrenen Gesprächen dürfte mit schlecht noch positiv beschrieben sein. Entsprechend kühl sollte der Empfang des Chef-Unterhändlers der EU, Michel Barnier, in London ausfallen. Drohungen, Warnungen, ein Ultimatum. Die britische Regierung verschärfte in den letzten Tagen den Ton. Zunächst kündigte Londons Verhandlungsführer David Frost am Wochenende in einem Interview an, dass man – anders als die Vorgängerregierung – dieses Mal „nicht blinzeln“ werde. „Wir werden kein Klientelstaat werden.“ Die EU müsse verstehen, „dass wir meinen, was wir sagen, und sie sollten unsere Position ernst nehmen.“ Frost warnte, dass sein Land auf keinen Fall Kompromisse machen werde, wenn es um die Unabhängigkeit gehe. Man werde Ende des Jahres das umsetzen, wofür die Briten 2016 gestimmt hätten – „komme, was wolle“, notfalls ohne Vertrag.

Angst vor einem möglichen Scheitern der Gespräche über ein Freihandelsabkommen habe man nämlich nicht. Im Gegenteil: Das Königreich müsse laut Frost auch bei einem sogenannten No-Deal-Brexit nichts befürchten. Man sei „vorbereitet“, beteuerte auch Premierminister Boris Johnson.

Die Stimmen aus der Wirtschaft klingen jedoch anders. Dort herrscht die Sorge vor einem harten Bruch zum 1. Januar 2021, der Zölle und Kontrollen nach sich ziehen würde. Am Montag heizte Johnson die Spannungen weiter an, indem er eine Frist setzte. Entweder es gebe eine Einigung bis zum EU-Gipfel am 15. Oktober, damit ein solcher Deal noch ratifiziert werden könne – oder die Briten verlassen nach der Übergangsphase den EU-Regelbereich Anfang 2021 ohne alternative Vereinbarungen.

Handelt es sich hierbei um das übliche Säbelrasseln vor bilateralen Verhandlungen? Beobachter sagen nein, die Briten meinen es offenbar ernst. Und auch Umweltminister George Eustice betonte, Johnsons Worte entsprächen keineswegs einer Verhandlungstaktik. Sie reflektierten seit Beginn die Realität der britischen Position.

In Brüssel scheint man zumindest irritiert. Denn einem Bericht in der Financial Times zufolge droht London außerdem damit, bei Ausbleiben einer Einigung über die künftigen Beziehungen Teile des Austrittsabkommen, das den Brexit zum 31. Januar offiziell besiegelte, außer Kraft zu setzen. Konkret geht es um die Klauseln, die eine harte Grenze zwischen Nordirland, das zum Königreich gehört, und dem EU-Mitgliedsland Irland vermeiden sollen. Der Bericht beruft sich auf Quellen, die die Pläne für das Gesetz angeblich kennen.

In der Downing Street wies man entsprechende Berichte zurück. Doch sollte Johnson tatsächlich einen solchen Schritt anpeilen, könnte dies nicht nur den Vertrag gefährden, sondern auch neue Ängste vor einem Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts schüren. Hinzu kommt, so warnen EU-Diplomaten, dass eine Abkehr von vertraglichen Zusagen Großbritannien weltweit einen Vertrauensverlust einbringen und die Chancen auf Handelsdeals mit anderen Staaten schmälern würde.

„Ich vertraue darauf, dass die britische Regierung das Austrittsabkommen umsetzt“, meldete sich am Montag Kommissionschefin Ursula von der Leyen zu Wort. Die Einhaltung des Vertrages sei „eine völkerrechtliche Verpflichtung und Voraussetzung für jede künftige Partnerschaft“. Barnier bezeichnete die Verhandlungen als schwierig, „weil die Briten das Beste aus beiden Welten wollen“.

London dagegen kritisiert, dass die EU an unhaltbaren Forderungen festhalte und über entscheidende Themen erst dann reden wolle, wenn andere Gebiete abgearbeitet seien. Zu den größten Knackpunkten gehören die Wünsche auf beiden Seiten im Bereich der Fischerei sowie das Beharren Großbritanniens auf einer vollständigen Autonomie bei Staatshilfen.

Während die EU darauf pocht, Staatshilfen zu regulieren, um dieselben Wettbewerbsbedingungen diesseits und jenseits des Ärmelkanals zu garantieren, will Johnson laut Insidern künftig den britischen Technologiesektor staatlich fördern, um die Abhängigkeit von den USA und China zu beenden. Um dieses Ziel zu erreichen, so heißt es, würde er im äußersten Fall auch einen No-Deal-Brexit riskieren.

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