Leitartikel Deutschland hat aus seiner Größe das Optimale gemacht

Man kann an das Jubiläum 30 Jahre Deutsche Einheit verschiedene Maßstäbe legen. Der häufigste lautet: gelungen oder nicht gelungen? Die Antwort: relativ gut gelungen.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Jedenfalls ökonomisch und politisch. Dank einer starken westdeutschen Wirtschaft. Dank eines unterstützenden internationalen Umfeldes. Und dank einer wildentschlossenen Bevölkerung in beiden Teilen des Landes. Vor allem im Osten. Man kann sich jedenfalls schwer vorstellen, dass eine Wiedervereinigung in anderen Teilen der Welt ähnlich erfolgreich, gewaltfrei und schnell verlaufen würde.

Das ist jedoch nicht der einzige Maßstab. Hätte man die Einheit trotzdem anders gestalten können, eben noch besser? Ist das Mögliche getan worden, um Verwerfungen zu vermeiden? Da werden die Noten schlechter. Den Westdeutschen wurde nur die halbe Wahrheit über die Kosten erzählt, den Ostdeutschen nur die halbe Wahrheit über die sozialen Folgen. Außerdem: Keine mildernden Umstände für nichts aus dem Osten. Berufsabschlüsse, Traditionen, Feste, Symbole – fast alles wurde entsorgt. Musste das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen so gebrochen, ihr Leben, ihre Geschichte, so wenig anerkannt werden? Musste der Westen so überheblich sein? Mit seinen Besser-Wessi-Beamten und seinen Investoren, die alles platt machten, bevor sie blühende Landschaften nach ihrem Geschmack aufbauten? Psychologisch und gesellschaftspolitisch gesehen war die Einheit kein Glanzstück.

Aber gab es überhaupt eine Chance, es anders und besser zu machen? Das ist vielleicht die entscheidende Frage. Die Antwort: Allenfalls marginal, nicht in den Grundzügen. Und diese Antwort fällt wiederum nun stärker auf die Ostdeutschen zurück. „Kommt die D-Mark nicht zu uns, kommen wir zu ihr.“ So skandierten sie damals. „Wir sind ein Volk“ und „Helmut, Helmut“. Dieser Illusionismus ist nicht vorzuwerfen. Aber er hat Tempo und Art der Einheit mitbestimmt. Damit auch etliche der Fehler. Daran muss man erinnern, wenn die gleichen Leute oder ihre Nachgeborenen nun aus Enttäuschung beginnen, das damalige „Wir sind ein Volk“ gegen Fremde und Flüchtlinge zu richten, und wenn aus dem einstigen Jubel über Deutschland Hass gegen das demokratische System, seine Institutionen und seine Repräsentanten wird. Es hatte und hat nicht nur der Westen Verantwortung für die Zustände im Osten.

Der dritte Maßstab: Wie steht das vereinigte Land in der Welt da? Die Antwort: Glänzend. Deutschland hat aus seiner neuen Größe das Optimale gemacht, wirtschaftlich gesehen. Und politisch ist das Land einer der stärksten Bindekräfte Europas, überhaupt des Multilateralismus. Es zeigt wie kaum ein anderes internationale Verantwortung, ob im Klimaschutz, bei der Flüchtlings- oder in der Entwicklungshilfe. Alle Ängste vor „Großdeutschland“ waren übertrieben. Deutschland wird heute so bewundert, wie niemals in seiner Geschichte. Schade nur, dass viele Deutsche selbst das nicht in gleichem Maße wahrnehmen und manche so sehr mit ihrem Staat und der Wiedervereinigung hadern.

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