„Wir leben in totalitären Zeiten“

Er gilt als das Polit-Schlachtross von Hollywood. Mit „Platoon“ widmete sich Oliver Stone dem Vietnamkrieg, mit „J.F.K“ und „Nixon“ den Fallstricken zweier US-Präsidenten, mit „Wall Street“ den Börsenhaien und mit „World Trade Center“ den Terroranschlägen vom 11. September. Er schrieb auch die Drehbücher zu zwiespältigen Stoffen wie „Conan, der Barbar“ und „Midnight Express“. Am 15. September feierte Stone seinen 70. Geburtstag. Und legt nun mit seiner verfilmten Biografie von Edward Snowden seinen 20. Spielfilm vor (ab morgen zu sehen im Saarbrücker Cinestar und UT). Im Interview mit SZ-Mitarbeiter Dieter Oßwald untermauert Stone seine Kritik an der US-Regierung und bekennt, dass Snowden für ihn ein Held ist.

 Joseph Gordon-Levitt als Snowden in Stones gleichnamigem Film.

Joseph Gordon-Levitt als Snowden in Stones gleichnamigem Film.

Foto: Universum

Welchen Eindruck hatten Sie, als Sie Edward Snowden trafen?

Stone: Snowden ist ein eindrucksvoller, nachdenklicher Mensch. Wir haben uns häufig getroffen. Mir erscheint er stabil, ruhig und in der Lage, mit der Situation im Exil zurechtzukommen. Seit seine Freundin Lindsay bei ihm ist, ist er viel glücklicher als zuvor. Ich habe keine Zeichen der Verzweiflung an Snowden gespürt. Er würde natürlich gerne nach Hause gehen, aber dort könnte er kein faires Verfahren erwarten.

Ist Snowden für Sie ein Held?

Stone: Als die Dinge bekannt wurden, habe ich als Bürger gesagt: Snowden ist ein Held. Aber das ist meine Privatmeinung. Jetzt beschäftige ich mich mit dem Thema als Dramatiker, das bedarf einer gewissen Verantwortung. Auf jeden Fall bewundere ich Snowden für seinen großen Mut. Und dafür, sich mit einem sehr strengen, totalitären Regime anzulegen.

Wie groß ist die Schnittmenge zwischen Snowden und Stone?

Stone: Snowden ist gegen die totalitäre Kontrolle durch den Staat. Das bin ich ebenfalls. Ich glaube, die meisten Menschen, die selbstständig denken, würden da zustimmen. Aber wir leben in totalitären Zeiten.

Welchen Einfluss hat Edward Snowden auf die Demokratie?

Stone: Snowden glaubt an die Demokratie und er glaubt daran, dass Menschen die Hintergründe erfahren sollten. Man könnte nun eine fundamentale, philosophische Diskussion darüber beginnen, ob Leute die Dinge erfahren sollen oder nicht. Denn das amerikanische Volk ist nicht bereit für dieses Wissen, es scheint, als wäre den Leuten das völlig egal.

Woran liegt dieses Desinteresse?

Stone: Amerika hat sich zur größten Konsumnation aller Zeiten entwickelt. Wir sorgen dafür, dass alle immer noch mehr Produkte haben wollen. Darum geht es beim Datensammeln. Damit begann die ganze Überwachung. Große Unternehmen sammeln Daten, um den Menschen mehr Produkte zu bieten. Das ist der Sinn des Lebens: die Konsum-Kultur.

Welchen Einfluss hatte die Oscar-prämierte Dokumentation "Citizenfour" auf Ihr Projekt?

Stone: Überhaupt keinen, unser Konzept war bereits entwickelt, als "Citizenfour" in die Kinos kam. Wir erzählen zudem eine ganz andere Geschichte. Unser Film handelt davon, wie Snowden sich veränderte. Was ging in ihm vor? Was bewog ihn dazu, die vertraulichen Informationen publik zu machen? War er sich der Konsequenzen bewusst? Haben wir es mit dem modernen Prometheus-Mythos eines ganz normalen Mannes zu tun, der der Menschheit eine neue Wahrheit zeigt und damit die NSA-Götter erzürnt? Wer also ist Edward Snowden? Unser Film versucht, Antworten auf diese Fragen zu geben.

Was beabsichtigt Snowden?

Stone: Snowden möchte eine Reform des Überwachungssystems. Dafür arbeitet er hart und viele Stunden täglich. Er hält Reden und steht in Kontakt mit vielen Gruppen, die ähnliche Ziele haben. Um seine eigene Person ging es ihm nie.

"Terrorismus ist nur der Vorwand, um noch mehr Daten sammeln zu können", heißt es im Film. Solche Aussagen sind in Amerika, geschweige denn in Hollywood, selten zu hören.

Stone: Das entspricht den Fakten. Das wurde von vielen Kommentatoren und Terrorismus-Experten ähnlich geäußert. Ich gehöre nicht zu den Fachleuten, glaube aber, es stimmt einfach. Die ganze Hysterie nach den Anschlägen von 2001 erzeugte ein falsches Paradigma von Sicherheit versus Bürgerrechten.

Weshalb haben Sie Ihren Polit-Thriller teils in Bayern gedreht?

Stone: Wir hatten für die Finanzierung auf ein großes US-Studio gehofft, doch vergeblich. Deswegen mussten wir nach Europa, wo unser Produzent gute Verbindungen nach Deutschland und Bayern hat. Dort bekamen wir Fördermittel, zudem fanden wir Investoren in Frankreich - während sich in Amerika lediglich ein kleinerer Verleih für unseren Film engagierte.

Weshalb ist Snowden in Europa populärer als in den USA?

Stone: Wer sich nicht mit dem Fall beschäftigt, für den ist die Sache einfach: Wer Geheimnisse preisgibt, ist ein Verräter. Dabei wird unterschlagen, dass Snowden ein Verbrechen beging, um ein größeres zu entlarven. Die Idee von zivilem Ungehorsam wird vielfach nicht verstanden. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA hat Gesetze gebrochen. Aber dieser Protest war notwendig, um dadurch viel größere Verbrechen deutlich zu machen.

Wie sehen Sie die aktuelle Lage in den USA mit Trump als Präsidentschaftskandidaten?

Stone: Donald Trump hat die Exekution von Snowden gefordert. Und Hillary Clinton hat die ganze Härte des Gesetzes gefordert. Dabei hat sie selbst das Gesetz gebrochen. Die Frage nach den Präsidentschaftswahlen ist für mich ein deprimierendes Thema. Clinton ist eine Kriegerin. Sie hat als Außenministerin eine Schweinerei angerichtet und scheint nicht zu den Menschen zu gehören, die über ihre Taten nachdenken. Die USA sind in echten Schwierigkeiten. Deswegen muss Europa unabhängiger werden. Die EU könnte eine große Kraft für den Frieden werden. Das wäre sinnvoller, als Sanktionen gegen Russland zu verhängen, nur weil Amerika es so verlangt. Und gerade ihr Deutschen kennt doch die Geschichte der Überwachung und des Totalitarismus. Ihr solltet es am besten wissen, wenn ihr es seht. Aber wer hört auf euch? Wer, verdammt noch mal, hört auf Merkel? Was stimmt nicht mit der?

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