Nestbeschmutzer im besten Sinne: Zum Tod von Edward Albee

Saarbrücken · Wenige andere US-Dramatiker haben der amerikanischen Gesellschaft so schonungslos den Spiegel vorgehalten wie er. Nun starb Edward Albee im Alter von 88 Jahren.

"Wenn man eine Gesellschaft kritisieren will, muss man Außenseiter dieser Gesellschaft sein", lautete das dichterische Credo des Dramatikers Edward Albee. Obwohl er dreimal den Pulitzerpreis erhielt (zuletzt 1994 für "Drei große Frauen"), ist er in der amerikanischen Gesellschaft selbst immer Außenseiter geblieben. Albees erstes Stück "Die Zoogeschichte" gelangte 1959 nicht etwa auf einer amerikanischen Bühne zur Uraufführung, sondern (ebenso wie ein Jahr später "Der Tod der Bessie Smith") in Berlin unter Boleslaw Barlog. Albees unter dem Einfluss von Samuel Beckett entstandener Einakter galt als erstes US-Stück des absurden Theaters. Zuhause zunächst als eine Art Nestbeschmutzer verschrieen, gehörte Albee zu den exponierten Kritikern des viel gepriesenen "American way of life". Schon Anfang der 60er befand er: "Dieses Land und seine Menschen sind krank von Neonlicht und Rekordsucht."

Edward Albee, der am 12. März 1928 in Washington geboren und zwei Wochen nach seiner Geburt vom wohlhabenden Ehepaar Albee adoptiert wurde, stand mit seinen Adoptiveltern immer auf Kriegsfuß. Vater Reed (Erbe eines Tourneetheater-Konzerns) und Mutter Frances (Fotomodell) hat er auf boshafte Weise ein literarisches Denkmal gesetzt. In seinem Einakter "Der amerikanische Traum" entlarvte er die in der US-Nachkriegsgesellschaft und seinem Elternhaus dominierende Jagd nach Statussymbolen und den fast manischen Drang zur Anpassung an soziale Normen. Albees frühe Stücke, die eine Mischung aus O'Neill und Ionesco zeigen, drohten vor Gesellschaftskritik überzuquellen. Viele seiner Figuren wirken deshalb überzeichnet - beinahe entmenschlicht, wie symbolbeladene Karikaturen. In den USA stellte sich der Erfolg erst mit dem weltberühmt gewordenen Dreiakter "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" (1962) ein, der später von Mike Nichols mit Liz Taylor und Richard Burton in den Hauptrollen verfilmt wurde: ein an Strindberg erinnerndes Ehedrama um den Historiker George und dessen Frau Martha.

Rassendiskriminierung, religiöser Wahn, die Vereinsamung des Individuums in den großen Städten, der Geschlechterkampf, die bürgerliche Doppelmoral: Albees Themen waren von zeitloser Aktualität. Am Freitag ist Albee nun im Alter von 88 Jahren in Montauk/New York gestorben.

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