„Depeche Mode: Spirits in the Forest“ Waldbühne, Du Endstation Sehnsucht

Saarbrücken · An nur drei Tagen im November 2019 lief „Depeche Mode: Spirits in the Forest“ weltweit in den Kinos. Der Film von Anton Corbijn ist eine Verbindung aus Konzertfilm und einer persönlichen Dokumentation. Eine ambitionierte Mischung, die auch frustrieren kann. Jetzt erscheint der Film als Blu-ray.

 Martin Gore (links) und Sänger Dave Gahan auf der Waldbühne in Berlin. Die Konzerte dort im Juli 2018 waren die letzten Auftritte bei der langen Tournee zum Album „Spirit“.

Martin Gore (links) und Sänger Dave Gahan auf der Waldbühne in Berlin. Die Konzerte dort im Juli 2018 waren die letzten Auftritte bei der langen Tournee zum Album „Spirit“.

Foto: Columbia/Trafalgar Releasing

Ein merkwürdiger, eigenwilliger Film, der manchen Fan der Band enttäuschen könnte. Einen üblichen Konzertmitschnitt sollte man nicht erwarten. Auch keinen ambitionierten Konzert-Dokumentarfilm wie „101“, den D. A. Pennebaker vor 30 Jahren mit und über Depeche Mode drehte. Anton Corbijn schlägt mit „Depeche Mode: Spirits in the Forest“ einen anderen Weg ein; der Regisseur („Control“, „A most wanted man“), Fotograf und auch Bühnendesigner ist der britischen Band seit langem verbunden, er gestaltet Cover für sie und drehte ab den 1980ern Videoclips mit ihr: Die frühen, „Strangelove“ etwa oder „Never let me down again“, waren in ihrer grießeligen, körnigen Super-8-Ästhetik und in Schwarzweiß prägend für den Imagewandel der Band – von Synthiepoppern zu einer Electroband, die auch mit Rock und Blues sehr gut zurechtkommt.

Corbijns Film, der nur am 21., 24. und 26. November in 2400 Kinos weltweit zu sehen war (bevor es jetzt in Richtung Heimkino geht), zeigt Momente von den letzten Konzerten der Tournee zum Album „Spirit“ am 23. und 25. Juli 2018 auf der Berliner Waldbühne. Aber eben nur Momente: Die Auftritte bilden eher den Hintergrund für die persönlichen Geschichten von sechs Fans, die Corbijn aus ihrem Leben erzählen lässt und davon, was sie mit der Band verbindet. Da ist Indra Amarjargal, 22, in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar; sie sortiert ihr Vinyl der Band und erzählt von der ersten Begegnung mit deren Musik bei Fahrten aufs weite Land im Teenie-Alter – ohne damals die Texte zu verstehen. Jetzt macht sie sich via Moskau auf nach Berlin. Das ist auch das Ziel von Dicken Schrader aus Kolumbien, der von seinen – nach der Trennung von seiner Frau – fernen Kindern erzählt; mit denen hat er das Depeche-Mode-Covertrio DMK gegründet, das die Hits der Band in charmanten Versionen neu einspielt. In Bukarest macht sich derweil Christian Flueraru auf den Weg und erzählt, wie das damals so war mit West-Pop in Rumänien. Im staatlichen Radio lief Depeche Mode erst nach dem Sturz von Diktator Ceausescu; seine erste legale Schallplatte von Depeche Mode wollte er gar nicht auf dem antiquierten und kaum vinylschonenden Plattenspieler laufen lassen – dann doch lieber die alte, abgenudelte Raubkopie-Cassette aus alten Zeiten.

Die Bindung von Carine Puzenat aus Perpignan an die Band ist da dramatischer: Mit 25 verlor sie all ihre Erinnerungen – aber als sie, es klingt ein bisschen wie aus einer Filmschnulze, ein altes Depeche-Mode-Video sah, wurde ihr bewusst: Das kannte ich mal und mochte es sehr. Therapeutische Wirkung hatte die Band in gewissem Sinn auch bei Elizabeth Dwyer aus Los Angeles, die von der Musik der Gruppe durch ihre Bestrahlungstherapie nach einer Krebserkrankung begleitet wurde. Auch Daniel Cassus aus Berlin halfen einige Songs in einer schwierigen Phase: beim Coming-Out vor seinen Eltern, die ihn doch viel lieber mit Freundin gesehen hätten als in der Ehe mit einem Mann.

 Mit ihr beginnt der Film: Indra Amarjargal, ein Fan aus der Mongolei.

Mit ihr beginnt der Film: Indra Amarjargal, ein Fan aus der Mongolei.

Foto: Columbia/Trafalgar Releasing

Viel Persönliches und Dramatisches also im ersten Filmdrittel, das sich ganz auf diese sechs Menschen konzentriert; das Waldbühnenkonzert blitzt nur schlaglichtartig auf – mit Sänger Dave Gahan, der seine Qualitäten als unermüdliche Rampensau mit Stolzieren und Posieren zelebriert, mit heftig bekreischtem Popowackeln und einem phallusverlängernden Mikrofonständer zwischen den Beinen.

Nachdem die Fans und ihre Geschichten reihum vorgestellt sind, öffnet sich „Spirits in the Forest“ mehr in Richtung Konzertfilm; die Szenen auf der Bühne werden länger ausgespielt, wobei Corbijn – bei dieser Tourneeproduktion auch der „artistic director“ – die Songs mit dem Persönlichen der Fans verbindet: So liegt Dicken Schrader besonders das Scheidungsstück „Precious“ am Herzen (er bricht beim Konzert in Tränen aus); und „Where’s the revolution“ steht besonders dem Rumänen Christian nahe, der Ceausescu noch erlebt hat.

 Carine Puzenat aus Perpignan, die mit 25 ihr Gedächtnis verloren hat.

Carine Puzenat aus Perpignan, die mit 25 ihr Gedächtnis verloren hat.

Foto: Columbia/Trafalgar Releasing

Das Hin und Her zwischen persönlicher Erzählung und Konzert, zwischen Momenten der Intimität und des Riesenkonzerts ist eine zwar reizvolle Kontrast-Konstruktion, die aber auch frustrieren kann. Eine dichte Konzertatmosphäre will sich kaum einstellen, wird die Musik doch regelmäßig unterbrochen; und wirklich in die Tiefe gehen kann der 83-minütige Film bei den persönlichen Geschichten nicht, bei einem halben Dutzend Menschen, von denen man wohl jedem eine Doku hätte widmen können. Da übernimmt sich der Film.

Das letzte Drittel gehört dann mehr der Musik als den Fans, mit einer langen Version von „Personal Jesus“, mit „Enjoy the Silence“, dem Popmelancholie-Meisterstück der Band, dem zeitlosen und wuchtigen „Never let me down again“ und dem Frühwerk „Just can’t get enough“ von 1981, das der Film sehr charmant einführt: Erst sieht man die Französin Carine mit ihren Kindern zu dem antiken, bunt-poppigen Video vor dem heimischen Fernseher tanzen, dann kann man in Berlin Gahan und Band sehen, wie sie das Stück mit einer gewissen liebevollen Ironie zelebrieren.

 Daniel Cassus hat es nicht weit zur Waldbühne – er lebt in Berlin.

Daniel Cassus hat es nicht weit zur Waldbühne – er lebt in Berlin.

Foto: Columbia/Trafalgar Releasing

Auch wenn das Konzept des Films nicht recht aufgeht: Die Faszination der Band wird überdeutlich – wobei Gahans Rockgott-Posen Geschmackssache bleiben. Depeche Mode spenden neben dem Gemeinschaftserlebnis des Konzerts einen gewissen Trost. Fan Dicken spricht für viele, wenn er sagt: „Es wirkt, als spräche die Band direkt zu einem selbst.“ Und wenn Gahan am Bühnenrand die emporgereckten Hände der Fans berührt, dann wirkt das fast wie eine religiöse Handlung.

  Elizabeth Dwyer, langjähriger Fan von Depeche Mode aus Los Angeles.

Elizabeth Dwyer, langjähriger Fan von Depeche Mode aus Los Angeles.

Foto: Columbia/Trafalgar Releasing

„Spirits in the Forest“ erscheint am Freitag auf Blu-ray und CD.

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