Familiengeschichte als Weltdrama – Dramatikerpreis für Palmetshofer

Mülheim/Ruhr · Die Entscheidung war knapp und etwas überraschend. Den Mülheimer Dramatikerpreis erhält der Österreicher Ewald Palmetshofer. Er setzt sich gegen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek durch.

Beim Mülheimer Dramatikerpreis 2015 hat sich die Jury gegen einen großen Namen und für die Sprachmacht eines recht jungen Autors entschieden. Für seine Collage "die unverheiratete" erhält der 1978 geborene Österreicher Ewald Palmetshofer den renommierten Theaterpreis. Das Stück über eine in den Zweiten Weltkrieg zurückreichende Schuld überzeugte die Jury mehr als Elfriede Jelineks Flüchtlingsstück "Die Schutzbefohlenen". Nach einer Debatte in der Mülheimer Stadthalle entschieden sich drei der fünf Juroren am Donnerstag kurz vor Mitternacht für Palmetshofers Stück. "Sprachlich und inhaltlich ist für mich ‚die unverheiratete' das raffinierteste Stück im Wettbewerb. Sprache und Inhalt sind perfekt aufeinander abgestimmt, kongruent", begründete Schauspielerin Bettina Stucky ihr Votum.

Palmetshofer rückt drei Frauen in den Mittelpunkt: "die Junge", "die Mittlere" und "die Alte". Die Greisin steht am Rande des Grabes. Sie wird von der Erinnerung an ein Verbrechen gequält, das sie kurz vor Ende des 2. Weltkrieges beging: sie denunzierte einen jungen Soldaten. Kurz nach Ende des Kriegs musste sie sich verantworten und wurde mit Gefängnishaft bestraft. Die Folgen für die Tochter und die Enkelin kommen zur Sprache - es ist zweifelhaft, ob sie etwas aus der Geschichte der Großmutter gelernt haben. Palmetshofer entwickele aus einer Familiengeschichte ein Weltdrama, lobte die Jury.

Insgsamt war 2015 ein ungewöhnlich guter Theaterjahrgang. Elfriede Jelineks "Schutzbefohlene" wird derzeit an renommierten Bühnen gespielt, Felicia Zeller stellt in dem für das Saarländische Staatstheater inszenierten Stück "Wunsch und Wunder" Auswüchse der Reproduktionsmedizin an den Pranger, Rebekka Kricheldorf macht sich in "Homo Empathicus" über den Hang zur Konfliktvermeidung lustig. In "Die lächerliche Finsternis" analysiert Wolfram Lotz, Joseph Conrads "Das Herz der Finsternis" fortschreibend, die Fortdauer des Kolonialismus bis heute. Dirk Laucke stellt die Fortdauer faschistischen Denkens und Fühlens in "Furcht und Ekel. Das Privatleben glücklicher Leute" auf die Bühne. Und Yael Ronen & Ensemble begeisterten mit ihrem Antikriegsstück "Common Ground" die Zuschauer - sie erhielten den Publikumspreis.

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