Europäischer Eiertanz um den Genmais

Brüssel/Luxemburg · Analyse Seit Jahr und Tag drücken sich die EU-Staaten vor einer klaren Aussage für oder gegen gentechnisch veränderte Pflanzen. Jetzt steht ein wichtiges Urteil an.

Der Dauerstreit um die Zulassung von Genmais spitzt sich weiter zu. Während die Vertreter der Mitgliedstaaten seit Monaten um eine klare Aussage ringen, ob die Zulassung verlängert werden soll oder nicht, funkt nun auch noch der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit einem aufsehenerregenden Verfahren dazwischen. Den Juristen liegt ein Fall aus Italien vor, der weitreichende Auswirkungen auf Deutschland haben könnte.

Ein italienischer Bauer hatte dem staatlichen Anbau-Verbot zum Trotz die gentechnisch veränderte Maissorte Mon 810 des US-Herstellers Monsanto ausgebracht. Daraufhin leiteten die örtlichen Behörden ein Strafverfahren gegen den Landwirt ein. Gestern legte der zuständige Generalanwalt Michal Bobek sein Gutachten vor (EuGH-Rechtssache C-111/16); in der Mehrzahl der Fälle folgt das Luxemburger Gericht der Ansicht des Generalanwalts.

Bobeks Position ist eindeutig: Die Mitgliedstaaten dürfen den Anbau nur dann verbieten, wenn sie nachweisen können, dass "ein offensichtliches und ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier wahrscheinlich" ist. Eine entsprechende Regelung enthält die EU-Richtlinie in Artikel 34. Das Verbotsrecht sieht Bobek in der Zuständigkeit der Regierung begründet, "Sofortmaßnahmen zu treffen, um Risiken für die menschliche Gesundheit zu vermeiden, die aufgrund wissenschaftlicher Unsicherheiten noch nicht vollständig erkannt oder nachvollzogen" wurden. Da der europäische Gesetzgeber aber ausdrücklich festgelegt habe, dass Gentechnik-Produkte "bereits vorher einer wissenschaftlichen Bewertung unterzogen wurden", müsse ein Mitgliedstaat belastbare Begründungen für ein Abweichen von der EU-Zulassung vorbringen .

Die Rechtslage ist kompliziert. 19 der 28 EU-Regierungen haben für ihren Hoheitsbereich die grundsätzliche Anbau-Erlaubnis der Union außer Kraft gesetzt. In Deutschland etwa wird Genmais nur zu Forschungszwecken angebaut. Um das zu vermeiden, können die Behörden den Hersteller bitten, das eigene Gebiet von der Zulassung auszunehmen und auf die Aussaat zu verzichten. Weigert sich das Unternehmen, muss die Verwaltung "zwingende Gründe" vorlegen, um eine entsprechende Nutzung zu verhindern.

Beobachter gehen davon aus, dass der EuGH am Ende die grundsätzliche Genehmigung aus Brüssel bekräftigt. Die letzte Entscheidung liegt bei der EU-Kommission. Jedenfalls dann, wenn sich die Vertreter der Mitgliedstaaten auch künftig nicht mit deutlicher Mehrheit für oder gegen Genmais entscheiden. Entsprechend der Richtlinie aus dem eigenen Haus wird die Behörde für die Freigabe von Mon 810 votieren. Daraufhin passiert dann, was bisher jedes Mal geschehen ist: Ein Großteil der Regierungen kippt die Zulassung wieder. Dass der Europäische Gerichtshof dafür verlässliche Grundlagen fordert, die ein "ernsthaftes Gesundheitsrisiko" belegen, ist nachvollziehbar. Es löst nur leider das Problem nicht.

Auch deshalb will die Kommission ihre Schlüsselrolle in dieser Frage schnellstmöglich wieder loswerden. Sie hat bereits Vorschläge gemacht, damit die Mitgliedstaaten ihre Verantwortung nicht länger ignorieren können. Europa darf in einer solch wichtigen Angelegenheit, die das Vertrauen der Menschen in neuartige Produkte betrifft, nicht abwarten oder den Schwarzen Peter anderen zuschieben. Das ist allen Beteiligten gegenüber unfair. Es gibt politische Fragen, bei denen auch ein Mehrheitsvotum bindend für alle sein muss - und bei denen schon der Verdacht gesundheitlicher Risiken genügt, um Nein zu sagen. Bis zum Beweis des Gegenteils.

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