Serie Lebenswege „Walter hat immer nur Gutes getan“

Walpershofen · Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Walter Brandstetter.

 Ein einnehmendes Lächeln zeigte die Herzensgüte von Walter Brandstetter (Foto links von 2014.) Das Foto rechts zeigt ihn (ebenfalls 2014) beim Würstchenverkauf anlässlich des Brückenfestes der SPD Walpershofen.  Fotos: Familie/Werner Feld

Ein einnehmendes Lächeln zeigte die Herzensgüte von Walter Brandstetter (Foto links von 2014.) Das Foto rechts zeigt ihn (ebenfalls 2014) beim Würstchenverkauf anlässlich des Brückenfestes der SPD Walpershofen. Fotos: Familie/Werner Feld

Foto: Familie Brandstetter

Als junger Mann wollte Walter Brandstetter seine badische Heimat verlassen und die Welt kennen lernen. Mit Fahrrad und Zug machte er sich auf den Weg, traf in Walpershofen Christel Bauer, verliebte sich in sie und beendete seine Weltreise. Walter Brandstetter wurde am 26. Dezember 1932 als erstes Kind von Reinhard und Elisabeth Brandstetter im badischen Oberkirch geboren. 1937 kam Bruder Rudi und 1944 Bruder Helmut zur Welt. Der junge Walter hatte keine schöne Kindheit. Nicht nur der Krieg soll daran Schuld gewesen sein, sondern auch fehlende Zuneigung im Elternhaus.

Deshalb wollte er nach absolvierter Gesellenlehre als Schreiner so schnell wie möglich weg. Im Oktober 1954 kam er in Walpershofen an. „Seine erste Frage war: Gibt es hier einen Turnverein?“, erinnert sich Christel Brandstetter. Denn dem Turnsport hatte sich Walter Brandstetter schon von klein auf verschrieben. Er schloss sich sofort dem TV Walpershofen an, in dem er auch seine Christel kennenlernte. Am 24. Januar 1956 wurde geheiratet. Der Ehe entsprangen die Töchter Anneliese (1956), Irmtraud (1959), Kerstin (1962) und Ingrid (1963). Ab 1960 baute sich die Familie – fast ausschließlich in Eigenleistung – ein Haus auf dem Poss.

„Erst hier, in Walpershofen, ist Opa heimisch geworden“, sagt Enkelin Nina Altmeyer. Walter Brandstetter arbeitete zunächst bis 1969 bei der Schreinerei Schuler in Etzenhofen, dann erledigte er von 1970 bis 1990 im Auftrag des Saarländischen Arbeitsministeriums Schreineraufgaben im Ministerium, ehe er in den Vorruhestand ging. „Ohne Arbeit hielt er es aber nicht aus und ging auch danach noch jede Woche ins Ministerium, um zu sehen, ob es was zu schaffen gab“, erinnert sich seine Ehefrau. Auch bei der Außenrenovierung der evangelischen Kirche in Walpershofen legte er tatkräftig mit Hand an und erledigte Schreinerarbeiten in der Köllerbacher Martinskirche. „Er sollte überall nur ein bisschen dabei sein, war dann aber immer an vorderster Front“, erzählt seine Familie.

Walter Brandstetter war nicht nur ein fleißiger Arbeiter, sondern auch ein Vereinsmensch. „Er suchte die Geselligkeit, schloss sich neben dem Turnverein auch noch dem Obst- und Gartenbauverein Walpershofen und drei Briefmarkenvereinen in Walpershofen, Lebach und Luxemburg an“, berichtet seine Ehefrau. Im Turnverein war er als Geräteturner, Prellballer, Tischtennisspieler und Leichtathlet aktiv, nahm jahrzehntelang Turnern das Sportabzeichen ab, rief 1970 die erste Walpershofer IVV-Wanderung ins Leben, war Oberturnwart und Wanderwart. Beide Walpershofer Vereine ernannten ihn zum Ehrenmitglied. Der Saarländische Turnerbund, bei dem er auch als Kampfrichter für die Leichtathletik aktiv war, ehrte ihn mit der höchsten Auszeichnung, der Gutsmuths-Medaille. Auch politisch war Walter Brandstetter interessiert, gehörte der SPD an und organisierte für die Walpershofer Sozialdemokraten viele Feste.

 Walter Brandstetter im Jahre 2014 beim Brückenfest der SPD Walpershofen (Fotograf Werner Feld)

Walter Brandstetter im Jahre 2014 beim Brückenfest der SPD Walpershofen (Fotograf Werner Feld)

Foto: Werner Feld

Eine herausragende Charaktereigenschaft Walter Brandstetters war seine Nächstenliebe. „Walter hat Zeit seines Lebens immer nur Gutes getan“, sagt Christel Brandstetter. So unterstützte er ab 1989 eine junge Familie aus dem Erzgebirge (DDR), die nach ihrer Ausreise in Weiskirchen gelandet war. Und als 2015 erste syrische Flüchtlinge in Walpershofen Unterkunft fanden, kümmerte sich Walter Brandstetter hingebungsvoll um eine junge Familie mit vier Kindern.

Er war (wie die Mitgliedschaft in Briefmarkenvereinen zeigte) auch Sammler: Mit Bernd Meyer aus Gersweiler zusammen brachte er es ab 2016 in vier Jahren auf insgesamt 38 Tonnen Kronkorken. Er stapelte sie teilweise in der eigenen Garage bis unter die Decke und verkaufte schließlich alles an Schrotthändler. Das Geld – runde 5000 Euro – spendeten Brandstetter und Meyer dem Kinderhospiz- und Palliativteam Saar.

Auch als Historiker setzte Walter Brandstetter Zeichen. Tausende von alten Walpershofer Fotos sammelte er in Alben und stellte sie in Vitrinen bei Festen und Veranstaltungen aus. Nach seinem Tode vermachte Christel Brandstetter dieses Erbe dem Landesarchiv Saar. In seinen letzten Lebensjahren brachte Walter Brandstetter mit seinem Schwiegersohn Gerd Diester und weiteren Helfern die Turnerklause am Kelterhaus auf Vordermann. An vorderster Stelle stand bei ihm aber immer die Familie, zu der noch fünf Enkel und ein Urenkel gehörten. „Opa hatte in seiner Jugend eigentlich nie eine richtige Familie gehabt, erst hier in Walpershofen, fand er sie“, erzählt seine älteste Enkelin Nina Altmeyer.

Zuletzt baute Walter Brandstetter körperlich stark ab. „Als er dann aus gesundheitlichen Gründen seinen Führerschein abgeben musste und es nicht mehr schaffte, alleine in sein Zimmer hochzugehen, verlor er den Lebensmut“, schildert die Enkelin. Walter Brandstetter wollte nichts mehr essen, nichts mehr trinken. „Nina, ich will sterben, bleibst du bei mir?“, sagte er eines Tages zu seiner Enkelin, die Krankenschwester von Beruf ist. „Das war der schlimmste Satz meines Lebens“, sagt Nina Altmeyer. Vier Wochen lang versuchte die Familie alles, um ihm den Lebensmut zurückzugeben. Vergeblich. Am 18. Juni 2020 schloss Walter Brandstetter für immer die Augen und wurde am 26. Juni 2020 auf dem evangelischen Friedhof Walpershofen zu Grabe getragen. „Er hinterlässt eine Riesenlücke“, sagt Enkelin Nina.

Auf der Seite „Momente“ stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorbener vor. Online unter saarbruecker-­zeitung.de/lebenswege

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort