Der Pilgerer

Kiew. Bislang galt Claudio Marchisio als der Mann mit dem größten Laufpensum im italienischen Nationalteam. Inzwischen hat der Mittelfeldmotor von Juventus Turin längst Konkurrenz erhalten - von Nationaltrainer Cesare Prandelli. Die Pilgerwanderungen des "Allenatore" bei der EM sind längst schon Tradition

Kiew. Bislang galt Claudio Marchisio als der Mann mit dem größten Laufpensum im italienischen Nationalteam. Inzwischen hat der Mittelfeldmotor von Juventus Turin längst Konkurrenz erhalten - von Nationaltrainer Cesare Prandelli. Die Pilgerwanderungen des "Allenatore" bei der EM sind längst schon Tradition. Nach dem Halbfinal-Sieg über Deutschland (2:1) wanderte Prandelli noch in der Nacht mit seinem Trainerstab rund zehn Kilometer weit zur Pfarrkirche der Heiligen Familie in der Nähe von Krakau. Es war bereits seine dritte Pilgerung, nach dem Überstehen der Gruppenphase hatte der gläubige Katholik gar einen Fußmarsch von 21 Kilometern zurückgelegt. Und sollte Italien tatsächlich im Finale gegen Spanien (bei Redaktionsschluss nicht beendet) der Coup gelingen, dürfte er auch in Kiew auf Wanderung gehen.Auch sonst geht Prandelli ganz neue Wege. Seit seinem Amtsantritt nach dem WM-Desaster 2010 (Vorrunden-K.o.) hat er im italienischen Fußball für eine Revolution gesorgt. Weg vom unansehnlichen Catenaccio setzt der 54-Jährige auf Angriffsfußball. Wo früher ein 1:0 mit allen Mitteln über die Zeit gebracht wurde, ist Italien bei dieser EM plötzlich das Team mit den meisten Torschüssen. "In Italien wollen inzwischen viele Trainer Fußball spielen lassen und nicht nur ein Ergebnis erzielen. Man kann gewinnen oder verlieren, aber Italien will Fußball spielen", findet Prandelli.

Mit dem Einzug ins Finale hat er längst alle Kritiker überzeugt. Und davon gab es vor der EM eine Vielzahl. So war der Aufschrei nach dem 0:3 gegen Russland in der Vorbereitung groß. Bei all den Problemen wie etwa dem Wettskandal im Vorfeld des Turniers wurde der "Squadra Azzurra" nicht mal der Einzug ins Viertelfinale zugetraut. Doch mit Prandelli gelang das Unvorstellbare.

Und so geht in Italien die Sorge um, dass der Signore mit den nach hinten gegelten Haaren nach der EM trotz laufenden Vertrages bis 2014 seine Mission wieder beenden könnte. So ließ er vor dem Endspiel Amtsmüdigkeit erkennen. "Die vergangenen zwei Monate waren hart, und mir hat die Lebensqualität gefehlt. Ich bin längst nicht so souverän, wie es oft den Anschein hat", sagte er.

Insbesondere die mangelnde Zusammenarbeit mit den Serie-A-Klubs ist Prandelli ein Dorn im Auge. "Während der Saison interessiert sich niemand für die Nationalmannschaft", sagte er. Gründe dafür seien die Strukturen im italienischen Fußball, aber auch Vereinsinteressen. Auch wenn das Verhältnis zur Verbandsspitze ausgesprochen gut sei, ließ er seine Zukunft offen. Er vermisse die tägliche Trainingsarbeit.

 Prandelli (rechts) hat aus Mario Balotelli einen effektiven Stürmer gemacht. Foto: dpa

Prandelli (rechts) hat aus Mario Balotelli einen effektiven Stürmer gemacht. Foto: dpa

Im Klubfußball hatte er sich fast 15 Jahre lang einen Namen gemacht. Insbesondere beim AC Florenz legte er seine Meisterprüfung ab, als er das Team bis ins Halbfinale des Uefa-Pokals und unter die besten 16 der Champions League geführt hatte. Er war beliebt. Ende 2007 nahm die Stadt bewegt Anteil, als seine Frau Manuela starb. Um sie zu pflegen, hatte er 2004 sein Engagement beim AS Rom aufgelöst und ein Jahr Auszeit genommen. Damals war Rudi Völler eingesprungen. Prandelli erwog damals sogar, die Karriere zu beenden. Davon ist nun keine Rede mehr. Italien dankt es ihm. dapd

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