Das Superhirn hinter dem Erfolg

Joachim Löw war sofort bestens über Lionel Messi informiert. Der Endspielgegner Argentinien hatte am Mittwochabend kaum festgestanden, da lag dem Bundestrainer schon umfangreiches Material für einen erfolgreichen Matchplan vor.

Videosequenzen, Einschätzungen der Stärken und Schwächen, Taktik-Analysen - alles bis ins Detail ausgearbeitet, um für das Spiel am Sonntag (21 Uhr/ARD ) gerüstet zu sein.

Der verantwortliche Mann dafür heißt Urs Siegenthaler und ist Chefscout beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Der Schweizer ist selten zu sehen, und was er macht, darüber redet er noch seltener. Doch längst hat Siegenthaler mit seinem Team eine herausragende Bedeutung im Stab von Löw gewonnen. Auch das unglaubliche 7:1 der Nationalmannschaft gegen Brasilien im Halbfinale darf ein bisschen Siegenthaler zugerechnet werden. Man analysiere die Gegner "eben gut", sagte Torjäger Miroslav Klose .

"Es freut mich, wenn die Spieler meine Arbeit schätzen", sagte Löws Souffleur nach seiner Rückkehr aus Sao Paulo. Dort hatte der 66-Jährige gemeinsam mit Chef-Analyst Christopher Clemens das zweite Halbfinale zwischen Argentinien und den Niederlanden auf der Tribüne verfolgt. "Das war aber nur, um unser Gewissen zu beruhigen. Sonst hätte man nachher gesagt, die schauen sich ihren Halbfinalgegner gar nicht an, und das dann als Hochmut ausgelegt", sagte Siegenthaler.

Ohnehin könne man im Stadion selbst nicht viel sehen, "höchstens Nuancen", erklärt Siegenthaler. Die Detailarbeit sei über Monate und Jahre geleistet worden. Ihn ärgere, wenn die Leute immer sagen würden, er sitze da im Stadion, schaue sich ein Spiel an und machen sich ein paar Notizen. "Ein Architekt fährt ja auch nicht nach New York, um sich nur die Häuser anzuschauen, um anschließend festzustellen, dass die sehr hoch sind", sagte der Schweizer: "Es geht ihm darum, welche Materialien verwendet, welche Techniken angewendet werden." Und genau so gehe er auch vor.

Über jeden Gegner habe man frühzeitig alle Feinheiten herausgearbeitet. Gegen die Unwägbarkeiten des Fußballs könne aber selbst die beste Analyse nichts machen. "Arjen Robben hat gegen Argentinien keinen Zweikampf gewonnen. Das ist nicht vorauszusehen, hat aber natürlich auch mit der guten Abwehrarbeit der Argentinier zu tun," sagte Siegenthaler. Die hätten hinten "viele Schweinehunde, die genau wissen, was sie zu tun hätten", lobte er den Abwehrriegel der Albiceleste.

Löws Assistent Hansi Flick hob hervor, dass die Arbeit von Siegenthaler "für unseren Matchplan entscheidend ist". Zwar lässt sich Löw bei Aufstellung und Taktik auch hin und wieder von seinem Bauchgefühl leiten - doch letztlich ist es die akribische Vorarbeit der Analysten, die den Ausschlag geben. In der Sporthochschule in Köln bearbeiten im Auftrag des DFB 40 Studenten laut Flick "jeden Zeitungsartikel und jede Szene vom Gegner, die für uns interessant sein könnte". Die Trainer würden dann entscheiden, was der Mannschaft gezeigt würde.

Siegenthaler ist eine tragende Säule im System Löw. In der Schweiz sind sie deshalb sehr stolz auf ihren Urs: "7:1 - ein Schweizer hat's erfunden", titelte das Boulevardblatt Blick und betonte: "Ein Schweizer liefert den Deutschen die Selecao ans Messer." Siegenthaler bleibt trotz der Lobeshymnen bescheiden: "Meine Aufgabe ist es, den Bundestrainer über die Entwicklungen im Fußball und im Sport generell auf dem Laufenden zu halten. Wohin führt der Weg? Was kommt auf uns zu? Unser Ziel ist es, nicht überrascht zu werden."

Im vergangenen Jahr war Siegenthaler beim Confed Cup und hat festgestellt: Standardsituationen führten zum Erfolg der am Ende siegreichen Brasilianer. Löw, ansonsten wahrlich kein Freund stereotyper Standards, nahm den Ratschlag an. In der Tat: Bereits sechs Treffer erzielte die DFB-Auswahl nach einem ruhenden Ball. "Zufall", sagt Siegenthaler, "spielt in meiner Arbeit keine Rolle".

saabruecker-zeitung.de/

wm2014

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