Applaus, Tränen und ein Verzeihen

Teresópolis · Am Tag eins nach seiner Rückkehr ins Quartier der Seleção machte Superstar Neymar eine persönliche Abrechnung mit der WM. Es klang ehrlicher als alles bisher aus dem Dunstkreis der Brasilianer Gehörte.

Der Applaus galt einem 22-Jährigen, der durch die bislang schwerste Woche seines Lebens gegangen war und davon ohne Scham erzählte. Der nach einer historischen Niederlage seines Teams seinen Kopf hinhielt, obwohl er gar nicht mitgespielt hatte. Der sich hinter Floskeln hätte verstecken können, aber mit seiner Offenheit die Medienschar bewegte.

Fast 40 Minuten gewährte Brasiliens verletzter WM-Star Neymar in der Nacht zu Freitag, wenige Stunden nach seiner Rückkehr ins brasilianische WM-Quartier, den erhofften Blick hinter die Fassaden nach dem 1:7-Debakel gegen Deutschland, nach dem geplatzten Traum vom Titel daheim. Neymar verteidigte, prangerte an, wirkte trotz brüchiger Stimme standfest, bis dann doch die Tränen durchbrachen, aber am Ende ein Lächeln siegte.

"Wir haben nur einen durchschnittlichen Fußball geboten und es deshalb auch nur bis ins Halbfinale geschafft. Das war nicht der Fußball einer brasilianischen Seleção", sagte der vierfache Turnier-Torschütze, der bekannte: "Wir haben versagt, Fehler begangen und zu wünschen übrig gelassen."

Und während der in der Heimat heftig kritisierte Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari noch im peinlichen Versuch der Ehrenrettung die positiven Resultate der letzten eineinhalb Jahre dem Blackout im WM-Halbfinale gegenüberstellte, gestand Neymar schonungslos: "Wir sind gescheitert." Selbst wenn am Ende doch noch der dritte Platz herausspringen sollte. Das zumindest erwartet Neymar von dem Duell mit den Niederlanden an diesem Samstag (22 Uhr/ZDF ). "Wir haben jetzt alles beweint, was es zu beweinen gab. Jetzt versuchen wir, am Samstag zu spielen und die Partie zu gewinnen", sagte er.

Neymar weiß, die Dinge zu trennen, fand harte Worte für den Tritt von Juan Zuniga, der ihm den Querfortsatz des dritten Lendenwirbels brach und seinen WM-Traum jäh beendete, verwehrte dem Kolumbianer, der ihn am nächsten Tag anrief, aber nicht die Verzeihung. "Es war eine Aktion, mit der ich nicht einverstanden bin, die ich so nicht akzeptiere. Aber ich werde jetzt nicht sagen, dass es Absicht war", erklärt Neymar, sichtlich um die Wahl der richtigen Worte bedacht. Unter Tränen fuhr er aber fort: "Zwei Zentimeter weiter nach innen, und ich säße jetzt im Rollstuhl."

Und wann hat es schon einmal gegeben, dass ein Weltstar seinen Berater öffentlich rügte? Die Meinung von Wagner Ribero, der WM-Trainer Scolari als "alt, dumm, arrogant, widerlich, überheblich und lächerlich" beschimpft hatte, sei "inakzeptabel". Die Verteidigung Scolaris endete aber auch damit schon.

Am Ende "einer der schlimmsten Wochen meines Lebens" fand Neymar sein Lachen wieder. Als ein Journalist ihm verriet, dass sein Sohn Fan von ihm sei, stieg der Superstar die letzte Stufe hinab zum Fußvolk, fragte nach dem Namen des Jungen und dankte grinsend: "David, eine Umarmung für dich." Ein kurzes Winken, ein Augenzwinkern, dann trat ein Sieger von der Bühne ab, begleitet vom Applaus derer, die er auch schon mal in Stunden des Triumphes mit rhetorischen Dribblings enttäuscht hat.

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