Beucher warnt vor Zufriedenheit: „So sind wir nicht zukunftsfähig“

Rio de Janeiro. Die Paralympischen Spiele in Rio de Janeiro sind gestern zu Ende gegangen. Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), zieht im Gespräch mit sid-Mitarbeiter Holger Schmidt eine positive Bilanz.

Herr Beucher, wie fällt Ihr Fazit der Spiele aus?

Friedhelm Julius Beucher: Hervorragend. Sowohl, was die Leistungen der deutschen Athleten angeht, als auch aus organisatorischer Sicht.

Dabei gab es in dieser Hinsicht vorher doch unzählige Horror-Szenarien.

Beucher: Alles, was wir als berechtigte Sorge mit auf den Weg genommen haben, hat sich nicht bewahrheitet. Ich habe volle Stadien gesehen, das war ein deutlicher Gegenpunkt zu den Olympischen Spielen. Es wurden mehr als zwei Millionen Tickets verkauft. Bei Spielen, wo es drei Wochen vorher fraglich schien, ob sie überhaupt stattfinden können, ist das eine sensationelle Entwicklung. Wir haben ein vorzügliches Paralympisches Dorf vorgefunden, ohne Fehl und Tadel, wenn man die Fähigkeit hat, über Kleinigkeiten hinwegzuschauen. Und wenn es irgendwo hakte, wurde es im wahrsten Sinne des Wortes bereinigt.

Wie bewerten Sie das deutsche Abschneiden?

Beucher: Wer vorher sagt, er zähle keine Medaillen, kann nicht nachher damit anfangen. Aber ich merke mir unsere Bilanz über eine Eselsbrücke. 18 Mal Gold wie volljährig. 25 Mal Silber wie Silberhochzeit. Und die 14 Bronze stehen für die Jugend. Die hat auch überzeugt, ist oft direkt in Finals eingezogen. Und mit Blick auf die Zukunft ist ein vierter Platz eines 19-jährigen Leon Schäfer vielleicht mehr wert als manche Medaille. Und über vielen Nationen, die im Medaillenspiegel über uns stehen, schwebt ein berechtigtes Misstrauen.

Sie reden von Doping?

Beucher: Von über 6000 Athleten, die sich auf die Spiele vorbereitet haben, wurden 1500 kontrolliert. Das ist zwar mehr als je zuvor. Das heißt aber auch, dass es unkontrollierte Athleten gab, die Siege gefeiert haben. Es kann nicht sein, dass ein Athlet, den zwei Jahre vorher noch niemand kannte, plötzlich von Weltrekord zu Weltrekord läuft. Da muss das IPC eine Kontrolldichte herstellen, und das IOC muss dafür sorgen, dass die Regeln der Welt-Anti-Doping-Agentur auch in Regelanwendungen umgesetzt werden. Der internationale Sport hat ein Glaubwürdigkeitsproblem wie nie. Und da kann er nur raus mit Transparenz und Nachhaltigkeit. Wenn im Fußball einer Foul spielt, muss er vom Platz. Wenn hier einer Foul spielt, hat er Glück, wenn er zum richtigen Verband gehört. Aber wenn man ein solches System will, muss man Geld dafür sicherstellen.

Wie hat Ihnen das Auftreten der Mannschaft gefallen? Man hat oft gehört: Wir waren ein Team, das waren wir vorher nicht immer.

Beucher: Wir waren schon immer ein Team. Der ein oder andere hatte es vorher nur nicht begriffen. Bei den Olympischen Spielen hat man gesehen, wie man sich nicht verhält bei einer Siegerehrung. Deshalb habe ich auf dem Hinflug an jeden ein Grundgesetz und den Text der Nationalhymne verteilt. Wir können den Leistungssport auch ausüben, weil die Bürger dies mit ihren Steuergeldern unterstützen. Also ist es eine Frage des Respekts, dass man dieses Land würdig vertritt und nicht auf dem Podium rumhampelt.

Wen haben Sie mehr vermisst: Die russischen Sportler oder IOC-Präsident Thomas Bach , der den Paralympics fernblieb?

Beucher: Die Russen haben nicht hierhin gehört. Bei Herrn Bach hätte es mich gefreut, wenn er gekommen wäre.

Mit welchen Gefühlen schauen Sie in Richtung Tokio 2020?

Beucher: Um das zu halten, was wir hier abgeliefert haben, haben wir nicht die Mittel. Ich bin froh, dass eine Delegation der Bundesregierung hier war. Sie hat die Leistungsfähigkeit des deutschen Teams gesehen. Aber sie hat auch gesehen, wie andere Mannschaften aufgestellt waren. Mit sieben hauptamtlichen Trainern in 23 Sportarten sind wir nicht zukunftsfähig. Ein Athlet, der sich vorbereitet auf Tokio und die kommenden Spiele, hat nur eine Chance, wenn wir das Angebot der dualen Karriere ausbauen.

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