„Das Gefühl für die Situation fehlt“

Im Saarland leben 1800 Blinde, das sind Menschen mit einem Sehvermögen von weniger als zwei Prozent. Hinzu kommen 5000 Sehbehinderte mit einem Sehvermögen unter 30 Prozent. Heute ist in Deutschland der „Tag der Sehbehinderten“. Heinz-Peter Engels und Michael Klingler, Vorstände des Blinden- und Sehbehindertenvereins für das Saarland, erzählten SZ-Redakteur Peter Wagner auch, was sie sich von den Behörden wünschen.

 Heinz-Peter Engels (l.) und Michael Klingler vom Blinden- und Sehbehindertenverein. Foto: BuB

Heinz-Peter Engels (l.) und Michael Klingler vom Blinden- und Sehbehindertenverein. Foto: BuB

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Herr Engels, Herr Klingler, sie begehen den "Tag der Sehbehinderten" in Saarbrücken vor einem Telefonladen in der Bahnhofstraße? Warum denn das?

Klingler: Bundesweit informieren unsere Organisationen über die Möglichkeiten von Smartphones. Sehbehinderte und Blinde können eine Menge damit erledigen. Die Technik erleichtert den Alltag ungemein. Viele wissen es aber nicht.

Zum Beispiel?

Klingler: In der Pizzeria fotografiere ich die Speisekarte. Meine App mit Texterkennungssoftware liest alles und übersetzt es in Sprache. Ich höre mir an, was auf der Pizza XY ist und was sie kostet. Und bestelle dann. Smartphones kann man auch mit Gesten bedienen, die nicht einmal die Verkäufer im Laden kennen. Wir aber schon.

Sie als Blinde könnten mich besser in ein fabrikneues Handy einweisen als ein Sehender?

Engels: Ich würde es mir zutrauen.

Also alles bestens?

Klingler: Es ist bei der Technik noch Luft nach oben. So wie beim Bauen von Straßen und Häusern gibt es auch beim Programmieren Rechte und Normen. Die werden nämlich nicht immer beachtet.

Barrieren am Bau sind eher die Regel?

Klingler: Am Willi-Graf-Ufer in Saarbrücken, unterhalb der Luisenbrücke, hat man uns eine lebensgefährliche Falle gebaut. In guter Absicht wurde eine Leit-Linie, einen Meter vom Wasser, im Boden eingebaut, zum Ertasten mit dem Stock. An dieser Stelle aber beträgt der Abstand plötzlich nur noch zehn Zentimeter. Darauf ist kein Blinder eingestellt.

Engels: Alles in allem ist aber zu loben, dass viele Anstrengungen für uns unternommen werden, gerade in den Städten. Es dauert aber Jahrzehnte und wichtig ist auch das, was ich "menschlicher Prozess" nenne.

Das heißt?

Klingler: Im riesigen Rom hält der Bus, wenn ich mit dem Blindenstock am Haltepunkt stehe. Im Saarland fahren die meisten vorbei, obwohl sie halten müssten. Das Gefühl für die Situation ist nicht da.

Was ist ihr größtes Anliegen?

Engels: Dass man beim Bauen und Umbauen früh mit uns spricht. Dialog hilft ungemein, Kommunikation ist alles. Kurioserweise werden wir oft konsultiert und nachher wird doch anders gebaut als vereinbart. Hauptamtliche Behindertenbeauftragte wären nicht schlecht. Wir machen das ja nebenher.

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