Marine Ensdorf ist nun eine schwimmende Schule

Stralsund/Ensdorf · Im Hafen der Marinetechnikschule (MTS) Parow in der Gemeinde Kramerhof nördlich von Stralsund liegt seit 2016 die „Ensdorf“. Der ehemalige Minensucher darf nicht mehr fahren, sondern nur noch schwimmen. Aber er spielt immer noch eine tragende Rolle in der praktischen Bordausbildung. Und ist daher in der gesamten Deutschen Marine wohlbekannt.

 Das ehemalige Minenkampfboot Ensdorf liegt als Hulk – als Schiff ohne eigenen Antrieb – im Hafen der Marinetechnikschule in Parow.

Das ehemalige Minenkampfboot Ensdorf liegt als Hulk – als Schiff ohne eigenen Antrieb – im Hafen der Marinetechnikschule in Parow.

Foto: Schmidt-Walther

„Stabsbootsmann, nicht -frau, Nicole Kubsch“, stellt sie sich strahlend vor, so dass ihr blonder Pferdeschwanz unter dem blauen Schiffchen fröhlich hin und her wippt. „Weibliche Dienstgradbezeichnungen gibt es bei uns nicht, wir sind alle Soldaten!“ Ein explizites „Gendering“ findet „aus Gründen der Lesbarkeit“ nicht statt.

Nach ein paar hundert Metern erreichen wir den Hafen der größten und modernsten Marine-Ausbildungsstätte, die am 28. März 1996 in Dienst gestellt wurde. Ein Standort mit langer militärischer Tradition: von 1936 bis Kriegsende Land- und Seefliegerhorst, ab 1950 bis zur Wende Flottenschule „Walter Steffens“ zur Ausbildung von Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften der DDR-Volksmarine. Heute heißt die weitläufige 800-Millionen-Anlage schlicht „Strelasund-Kaserne“. Auf dem campusartigen Gelände am Wasser und im Grünen mit Blick auf Stralsund und Rügen haben bis zu 2000 Auszubildende reichlich Platz zum Leben und Lernen.

Da drüben liegt sie!“, zeigt Nicole Kubsch – eine „waschechte Rüganerin“, wie sie stolz betont – über den Hafen zu unserem Ziel. Gemeint ist die ENSDORF mit der weithin sichtbaren weiß auf grau gemalten Hulknummer M 1094. „2016“, beginnt die junge Frau ihren militärisch knapp gehaltenen Kurzvortrag, „hat die Marinetechnikschule mit dem außer Dienst gestellten und umgebauten Minenabwehrboot Ensdorf, benannt nach der saarländischen Patengemeinde, ein weiteres wesentliches Ausbildungsmittel erhalten“. Das komplett in Betrieb gehaltene und noch durchaus moderne Boot ermögliche eine wertvolle bordidentische Ausbildung für eine Vielzahl von Trainings. „Was dahintersteckt, sieht man am besten bei einem Rundgang.“

Im Gang drängeln sich vermummte und behelmte Soldaten. Kommandorufe erfüllen die stickige Luft. Am Fuß eines Niedergangs, wie an Bord Treppen heißen, liegt jemand. „Hier soll ein Verletzter geborgen werden“, erläutert Nicole Kubsch die Lage. Mit zwei Feuerlöschschläuchen wird das „Opfer“ von den Kameraden behutsam nach oben gezogen. „Das muss immer wieder geübt werden“, so Kubsch, „damit das im Ernstfall auch reibungslos und schonend abläuft, vor allem bei Seegang.“ Da der Bootstyp mit 2,50 Meter nicht viel Tiefgang hat, nur 9,20 Meter schmal und bei 54,4 Meter relativ kurz ist, muss es bei stürmischem Wetter mächtig rundgehen an Bord.

Kein Zuckerschlecken auch in den engen Mehrkojen-Unterkünften mit nur knappster Sanitärausstattung. „Da kann es schon vorkommen“, berichtet Kubsch, „dass man sich, besonders unter Gefechtsbedingungen, mal längere Zeit nicht duschen kann.“ „Für die meisten hier aber kein Problem“, assistiert Oberstabsgefreiter Marvin Kelm. Der Cottbusser unterstützt seine Kameradin bei der Führung durch die Decks, die vollgestopft sind mit Technik. Da bleibt nicht viel Platz für Persönliches. „Luxus erwartet hier auch keiner“, meint Kelm grinsend, „denn die Deutsche Marine ist ja schließlich keine Kreuzfahrtreederei.“

Tief unten im 635-Tonnen-Boot glänzen die beiden Prachtstücke: zwei MTU-Dieselmotoren mit je 3060 Pferdestärken. „Die laufen natürlich noch für die Ausbildung“, erklärt Kelm, „aber hintendran sind keine Propeller mehr, eine Hulk eben.“ Ein ausgemustertes Boot ohne eigenen Antrieb. Die ausrangierte ENSDORF brachte es zu aktiver Zeit auf immerhin 18 Knoten und zählte damit zu den schnellsten Einheiten ihrer Art in der NATO-Flotte. Heute ist sie mit 30 Dienstjahren immer noch schmuck und hat andere Aufgaben. Eine schwimmende Schule für Techniker, Seeleute, Sanitäter. Neben Schiffssicherung mit Brand- und Leckabwehr, Brücken- und Wachdienst, Ankern, Knoten üben und Ruderwache gehen sind Selbst- und Kameradenhilfe Teil der dreimonatigen Grundausbildung. Die Lehrgangsleiter müssen methodisch entsprechend qualifiziert sein, während Offiziere die Theorieeinheiten übernehmen.

Die ENSDORF wird alle fünf Jahre in eine Werft geschleppt, weil sie ohne eigenen Antrieb und Kommandanten fährt. Chef an Land, sozusagen ein Kapitän ohne Schiff, ist der MTS-Fachbereichsleiter Allgemeine Schiffstechnik/Schiffsbetriebstechnik.

In der Offiziersmesse haben wir bei einem Pott Kaffee noch etwas Zeit zum Klönen, bis der Dienst die beiden Mariner wieder ruft. Dabei darf es auch ein bisschen persönlich zugehen. Nicole Kubsch, im Zivilberuf Physiotherapeutin, meldete sich 1999 als Berufssoldat zur Marine und begann im Sanitätsdienst. 2013 wechselte die verheiratete Mutter von zwei Kindern nach diversen Lehrgängen in die Pressestelle und nennt sich Presse- und Informationsmeister: „Mit anderen Worten: Ich bin quasi die Pressesprecherin der MTS.“

 Nicole Kubsch und Marvin Kelm zeigen den Maschinenraum der Ensdorf.

Nicole Kubsch und Marvin Kelm zeigen den Maschinenraum der Ensdorf.

Foto: Schmidt-Walther
 Bei einer Rettungsübung wird ein Verletzter mit Feuerlöschschläuchen die Treppe hinaufbugsiert.

Bei einer Rettungsübung wird ein Verletzter mit Feuerlöschschläuchen die Treppe hinaufbugsiert.

Foto: Schmidt-Walther
 Die Marinetechnikschule (MTS) in Parow verfügt über einen eigenen Campus – natürlich mit Hafen.

Die Marinetechnikschule (MTS) in Parow verfügt über einen eigenen Campus – natürlich mit Hafen.

Foto: Schmidt-Walther

Marvin Kelm ist gelernter Koch und ging 2010 für zwölf Jahre zur Marine. Nach einer Umschulung 2013 zum Antriebstechniker gehört er seit 2016 zum Bootshafenpersonal: „Da kümmere ich mich um die Instandhaltung aller Boote und unterstütze die Ausbildung.“ Nach Dienst-Ende 2022 hat er Anspruch auf einen Platz an der Bundeswehrfachschule, die er mit dem Fachabitur abschließen möchte. „Mein Ziel“, träumt Marvin Kelm ganz realistisch, „ist eine Stelle im gehobenen Dienst bei Zoll oder Polizei.“

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