Freundschaft Aschbacher auf Spuren seines Vaters in Frankreich
Aschbach · Wie sich aus einer Kriegsgefangenschaft nach über 70 Jahren eine deutsch-französische Freundschaft entwickelte
Erstmals 2016 begab sich der 69-jährige Gilbert Schirra, pensionierter Realschullehrer, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Anita Engel auf eine ungewöhnliche Spurensuche in das ostfranzösische Departement Haute-Savoie. Allerdings zunächst erfolglos. „Aus diesen ersten Recherchen über die Kriegsgefangenschaft meines 1990 verstorbenen Vaters entwickelte sich eine deutsch-französische Familien-Freundschaft“, erzählt Schirra, der zuletzt in Lebach Geschichte und Religion unterrichtete.
Der Aschbacher wollte unbedingt mit eigenen Augen sehen, wo sein Vater Alfred Schirra, selbstständiger Schmied und Schlosser, 1946 als Kriegsgefangener für sechs Monate auf einem Bauernhof gearbeitet hatte. Denn anders als erwartet hatte Schirra Senior, Jahrgang 1909, nach dem Krieg immer wieder geschwärmt von seiner Zeit als Kriegsgefangener in Douvaine unweit vom Genfer See. Dort musste er in einer landschaftlich reizvollen Gegend auf dem Bauernhof von Jacques Genoud wie ein Knecht arbeiten, hatte landwirtschaftliche Geräte, wie beispielsweise Eggen und Pflugschare zu reparieren oder schärfen. Auch Hufeisen für Pferde und Kühe passend herzustellen, war für den damals 36-jährigen Schirra kein Problem. Die handwerklichen Fähigkeiten des Aschbachers sprachen sich bei den Bauern in dem heute 5700 Einwohner zählenden französischen Ort damals schnell herum. So gab es fern der Heimat viel zu tun für den deutschen Kriegsgefangenen.
„Für meinen Vater war dieser Zwangsaufenthalt in Frankreich keine Gefangenschaft, sondern wie er öfter sagte, es war wie im Urlaub“, erzählt Gilbert Schirra. Das habe auch daran gelegen, dass „Patron“ Genoud und dessen Familie den Kriegsgefangenen aus Aschbach, der im Krieg als Melder bei der Infanterie eingesetzt war, stets fair und mit Respekt behandelt hätten. „Da er keinen Führerschein und kein Auto besaß, konnte sich mein Vater den mehrmals nach seiner Gefangenschaft geäußerten Wunsch nicht mehr erfüllen, selbst mal nach Douvaine zu reisen, um dort die Familie Genoud-Lacreusaz zu besuchen“, bedauert Gilbert Schirra. Zudem hätten seine Kinder damals wenig Interesse an einem solchen Besuch gezeigt.
Erst 2017 besuchten Gilbert Schirra und seine Lebensgefährtin ein weiteres Mal das historische Archiv des Departements in Annecy. Dort bekamen sie bereitwillig Listen mit den Namen von Kriegsgefangenen der Jahre 1945/46 und Hinweisen auf deren Arbeitsorte ausgehändigt.
„Nach langem Suchen fanden wir darauf den Namen meines Vaters und sind mit den zusätzlich angegebenen Informationen zum Rathaus in Douvaine gefahren“, sagt Gilbert Schirra. Ein älterer Mitarbeiter der Mairie fand schnell die Adresse von Christine Genoud, der Tochter des verstorbenen Jacques Genoud, in Douvaine heraus. „Sie war dort noch amtlich gemeldet, wohnte jedoch nicht mehr unter der angegebenen Adresse“, erzählt Gilbert Schirra weiter.
Schließlich habe ein hilfsbereiter Nachbar den Weg zu dem leerstehenden alten Bauernhof beschrieben, auf dem Schirra Senior 1946 als Kriegsgefangener gearbeitet hatte. „Wir konnten ein erstes Foto machen, mussten allerdings die Heimreise antreten, ohne herausgefunden zu haben, wo die Familienangehörigen von Jacques Genoud leben“, sagt Gilbert Schirra.
Erst als er von zu Hause aus einen Brief an die Meldeadresse der Tochter von Genoud nach Douvaine schickte, rief zunächst deren deutschsprechende Schwiegertochter in Aschbach an. „Danach tauschten wir Dokumente sowie Fotos per Briefpost aus und sind im Sommer 2018 gemeinsam mit meinem Bruder Arnold, dessen Gattin Sibylle und meiner Lebensgefährtin gerne einer Einladung der Nachkommen der Familie Genoud-Lacreusaz nach Douvaine gefolgt“, bestätigt Gilbert Schirra. „Dort sind wir sehr herzlich empfangen worden, haben viel miteinander geredet und konnten in der Nähe des Genfer Sees eine schöne Zeit verbringen“, erzählt Anita Engel.
Christine, die älteste Tochter von Jacques Genoud, habe die Gäste aus dem Saarland dann noch zu einem gemütlichen Treffen an einen Badesee in der Nähe ihres Wohnortes bei Sallanches eingeladen. „Das alte Bauernhaus, in dem unser Vater 1946 arbeitete, sah so aus, als sei die Zeit darin stehen geblieben“, bestätigt Arnold Schirra.
Die lokale Zeitung berichtete auf einer Sonderseite über den Besuch der Saarländer in Douvaine. „2019 wird die deutsch-französische Freundschaft mit einem Gegenbesuch der Nachkommen der Familie Genoud-Lacreusaz in Aschbach weiter verfestigt“, kündigt Gilbert Schirra schon freudig an.