Zu viel Zeit am Smartphone Schulpsychologe warnt vor Smartphones

Saarbrücken · Ein übermäßiger und bildungsferner Medienkonsum fördere bei Schülern Lernprobleme und Verhaltensauffälligkeiten.

 An die Regel, das Smartphone im Unterricht ausgeschaltet zu lassen, halten sich nach Ansicht des Schulpsychologen nur wenige Schüler.

An die Regel, das Smartphone im Unterricht ausgeschaltet zu lassen, halten sich nach Ansicht des Schulpsychologen nur wenige Schüler.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Kinder und Jugendliche hängen oft nur noch an ihren Smartphones – auch in der Schule. Frankreich hat dieser Tatsache nun einen Riegel vorgeschoben und ein landesweites Handyverbot an Schulen ausgesprochen. Dies begrüßt auch der saarländische Schulpsychologe Holger Weikopf. Er sieht den wachsenden Medienkonsum bei Minderjährigen und die „stillschweigende Akzeptanz von Eltern und Lehrern“ äußerst kritisch. „Ich beobachte seit Jahren einen Anstieg von Verhaltensauffälligkeiten und Lernproblemen in allen Schulformen, die bei näherer Betrachtung meist mit übermäßiger Mediennutzung einhergehen. Auch kommt es verstärkt zu digitalen Straftaten in Form von Mobbing und Verletzungen von Persönlichkeitsrechten, wobei Eltern und Lehrer im Einzelfall meist komplett uninformiert bleiben.“ In Gesprächen mit Schülern werde deutlich, dass Schule immer häufiger als Ort der Angst, der Demütigung und der psychischen Gewalt erlebt wird.

Das Saar-Bildungsministerium lässt den Schulen im Saarland freie Hand, wie und wann sie die Nutzung von mobilen Endgeräten in ihren Räumen erlauben. Oft sind die Regeln in der Schulordnung mit dem Hinweis auf ein „Handygebot“ festgelegt. Das heißt, Schüler dürfen ihre Smartphones zwar zur Schule mitbringen, müssen sie aber ausgeschaltet lassen. Dies begünstige nach Ansicht des Psychologen aber die Probleme, da die Regel leicht zu umgehen sei und oft ignoriert werde. „Auf die technischen Entwicklungen, welche immer fragwürdigere Möglichkeiten bieten, wurde und wird von offizieller Seite nicht angemessen reagiert. In Frankreich hat man nun erkannt, dass die überwiegend bildungsferne Endgerätenutzung bei Minderjährigen auch nicht vor den Toren der Schule halt macht. Das lässt auf Einsicht hierzulande hoffen.“

Doch auch die Eltern, die ihren Kindern zu früh einen unbeaufsichtigten Internetzugang ermöglichen, seien laut Weikopf mitverantwortlich. Das Internet sei ein Abbild der Erwachsenenwelt, das Kinder nur gemeinsam mit den Eltern besuchen sollten. „Um übermäßige, rechtswidrige oder altersunangemessene Nutzung auszuschließen, müssten die Geräte zumindest kindgerecht eingerichtet und mit entsprechenden Filtern versehen sein. Ein Aufwand, den nur sehr wenige Eltern betreiben.“

Was Weikopf zusätzlich auffällt: Ein übermäßiger Medienkonsum wirke sich negativ auf kognitive und soziale Lernprozesse der Kinder aus. „Kinder haben ein noch instabiles Selbstbild, das nur durch reale soziale und motorische Erfahrungen gestärkt wird“, sagt der Psychologe. Wenn dem Kind bewusst werde, dass seine Schulleistungen schwach sind und es mit den Klassenkameraden nicht mithalten kann, und gleichzeitig „digitale Zerstreuung im Übermaß zur Verfügung hat, wird diese zunehmend zur Hauptquelle innerer Selbstbestätigung, einem klassischen Suchtverlauf nicht unähnlich. Das Selbstbild bleibt so allerdings instabil und die Lerndefizite vergrößern sich gewöhnlich.“ Weikopf nennt dies „unbewusstes digitales Lernvermeiden“. Die Mediennutzung werde zum Lebensmittelpunkt. Wichtige Komponenten der sozialen Entwicklung, wie Konfliktfähigkeit oder Frustrationstoleranz, würden nicht ausreichend geübt. „Integrationsprobleme im späteren Berufsleben sind damit vorprogrammiert, was an der stetig steigenden Anzahl unbesetzter Ausbildungsstellen schon jetzt erkennbar ist.“

Zwar zeige die Mehrzahl der Schüler trotz intensiver Mediennutzung gute Schulleistungen, was erfreulich sei, aber „kein Grund zur Entwarnung ist“, sagt Weikopf. Denn gerade Kinder mit Lern- und Verhaltensproblemen neigten zum übermäßigen Abdriften in digitale Welten. „Und diese Gruppe wächst.“

Der Psychologe fordert neben verantwortungsvollem Elternverhalten und der gesellschaftlichen Ächtung „digitaler Spielzeuge und potentieller Tatwaffen“ an Schulen auch ausgearbeitete digitale Unterrichtskonzepte und aus- und fortgebildete Lehrer. „Medienkompetenz entsteht nicht von allein. Es reicht nicht, Kinder mit multifunktionalen Geräten auszustatten und den Rest dem Zufall zu überlassen. Ohne durchdachte Anleitung durch Eltern und Lehrer bleibt die Entwicklung einer bei allen Kindern angemessenen und lernfördernden Mediennutzung nur Wunschdenken.“

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