Porträt der Woche Eine Genossin mit hartem Kern hört auf

Saarbrücken. · Sie ist eine der Dienstältesten im Bundestag und ein saarländisches, sozialdemokratisches Urgestein: Elke Ferner. Der SZ erzählt sie, warum nach der Wahl Schluss ist.

enn man eines nicht tun darf, dann diese Frau zu unterschätzen. Sonst landet man, wie Oskar Lafontaine im Jahr 2005, als Versager in den Schlagzeilen, und Elke Ferner ist die rote Heldin. Obwohl sie selbst einer CDU-Frau unterlag, war sie in den Medien die, die den aussichtslos erscheinenden Häuserkampf im Wahlkreis 296 gegen den Linken, den früheren Weggefährten und Über-Sozi Oskar, gewonnen hat. Diese Frau, Typ „Kuschel-dich-an“? Selten sieht man sie allein. Mit ihrem Mann und einem befreundeten Paar lebt sie in ihrem Haus am Rotenbühl. Unweit davon liegt die Kneipe „Ilsetopf“, und dort sitzt sie in typischen Kneipenrunden. Meist sind Frauen in Ferners Umgebung in der Überzahl, und sie wirkt mit ihnen verschweißt, verschworen, verschwestert.

Das war schon vor drei Jahrzehnten so. Da steckte Ferner mit Gabriele Koebnick, Dolly Hüther oder der späteren Ministerin und heutigen Immernoch-Freundin Margit Conrad die Köpfe zusammen, mit „ihren“ SPD-Frauen aus der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF). Dort wurde Ferner polisozialisiert. „Herrlich weiblich“, das Wahlplakat von 1989 hängt immer noch in ihrem Büro in der Saarbrücker Talstraße, das mit nostalgischen Devotionalien eines langen Politikerinnenlebens überdekoriert ist. Die historischen Fotos der frühen Frauenrechtlerinnen Clara Zetkin und Rosa Luxemburg darf man als programmatische Fanfare nehmen. Ferners Wahlkampfslogan in eigener Sache ebenfalls: „Red Power“. Nicht nur Lafontaine hat letztere zu spüren bekommen, auch Saar-Umweltminister Reinhold Jost. Mit dem leistete sich Ferner vor vier Jahren einen öffentlichen Ringkampf über den Spitzenplatz auf der Bundestagswahl-Liste. Bis Jost zurückzog – und sie selbst wohl deshalb von der Basis mit einer blamabel niedrigen Stimmenzahl abgestraft wurde. Siegen, koste es, was es wolle? „Wenn es ums Prinzip geht, kann ich ziemlich ungemütlich werden“, sagt Ferner.

Immer noch nennt sie sich stolz „Feministin“ und „Quotenfrau“. Nur so schaffte sie es 1990 erstmals in den Bundestag, belegte Listenplatz zwei hinter dem damaligen SPD-Vormann Lafontaine. Auch trägt Ferner noch die signalroten Haare der Alt-68er-Aktivistinnen. Nur eine lila Latzhose hat sie sich nie angeschafft: „Ich hatte nicht die Figur dafür“, sagt sie mit ihrem trockenem Humor, der im Gespräch immer mal wieder aufblitzt. Mit ihr kann man sich durch alle Polit-Themen pflügen, immer hat Ferner eine analytisch präzise Argumentation und eine glasklare Meinung parat. „Das Rückkehrrecht auf einen Vollzeitjob wird kommen“, sagt sie beispielsweise. Oder: „Wir brauchen eine Erwerbstätigenrente.“ Renten­ungerechtigkeit lernt sie gerade selbst aus nächster Nähe kennen. Die langjährige Bundestagsabgeordnete und Berliner Beamtin wird das Mehrfache an Ruhegehalt beziehen wie ihr Mann. Der startete als Lehrjunge in der Völklinger Hütte, bildete sich permanent fort und behauptete sich in 48 Arbeitsjahren ohne Arbeitslosigkeit. Seit 1974 kennen die beiden sich, beide stammten aus Burbach, aus kleinen Verhältnissen. 1978 wurde geheiratet. Als Ferner mit 32 Jahren in den Bundestag einzog, war das Thema Familie und Kinder gelaufen. „Sonst hätte mein Mann seinen Job aufgeben müssen. Damals gab es noch keine Ganztagskinderbetreuung. Ich war nie dafür, den Spieß einfach nur umzudrehen, das hätte ich als ungerecht empfunden.“ Da ist es wieder, das Prinzip. 27 Jahre lang führten die Ferners eine Fernbeziehung, seit geraumer Zeit ist ihr Mann in Altersteilzeit und geht nun in die Ruhephase. Diese Zäsur hat laut Ferner den Ausschlag gegeben für ihre Entscheidung, in Berlin aufzuhören: „Das hätte vom Lebensrhythmus her nicht mehr gepasst. Ich wäre nochmal fünf Jahre mit 180 Stundenkilometern durchs Leben gedüst. Dafür ist das Leben zu kurz.“

Abschied vom Traumjob? 27 Jahre lang, jeden Montag um vier Uhr in der Früh, klingelte für Ferner der Wecker: Um 6.30 Uhr ging die Maschine nach Berlin. Bis Freitagabend gehörte Ferners Woche nur dem Job, und am Wochenende dann irgendwie auch – Wahlkreis beackern. Die einzigen „heiligen Termine“ im Jahr waren die Urlaube im eigenen Ferienhäuschen auf der griechischen Insel Syros. Dort lebe sie in einer anderen Welt, sagt Ferner: „Man geht zu Fuß ins Dorf, man streicht die Türen.“ Sie koche „gut und gern“, erzählt sie. Aber zur Alltagsbewältigung in Berlin-Moabit reichten die Energien nicht mal fürs Einkaufen, nur noch für einen Döner um die Ecke: „Ich habe immer schon gesagt und es ernst gemeint: Ich arbeite in Berlin und lebe in Saarbrücken.“ Das Saarland ist ihre Entspannungs-Komfortzone. Deshalb hält sie ihre Heimat, nicht Griechenland, für die „ideale Station, um den Ruhestand zu genießen“. Wie? Noch kaum ein Gedanke daran. Zuerst der Wahlkampf, und nach der Sommerpause geht es weiter. Bis zur Neukonstituierung des neuen Bundestages bleiben die Parlamentarier nämlich im Amt, und die Staatssekretäre müssen noch länger ran, bis die neue Bundesregierung steht. Das könnte Dezember werden. Immerhin hat Ferner im Juni 2017 schon mal ihre letzte Rede im Bundestag gehalten, zur Istanbul-Konvention, die Gewalt gegen Frauen verhindern soll.

Ja, richtig festquatschen kann man sich mit ihr beim Thema Gleichberechtigung. Sie hat nichts ideologisch Verbiestertes an sich, dafür ziemlich viel Erfahrung in der Hinterhand. Einst war Ferner als Programmiererin bei Asko die einzige Frau unter Männern, später wiederholte sich diese Einsamkeit in der Abteilungsleiterrunde im Berliner Verkehrsministerium, wo sie von 1998 an Staatssekretärin war. Doch bevor die Saarländerin ging, wurde erstmals eine Frau Referatsleiterin. Durchgefochten habe sie das, sagt Ferner, und tiefe Genugtuung schwingt mit. Mit Wattebäuschchen wirft sie sowieso nicht. Läuft etwas nicht nach ihren Vorstellungen, wird sie, wie man hört, auch mal laut und energisch – weiche Schale, harter Kern.

Frauenpolitik hat sich ihrer Einschätzung nach keineswegs überlebt: „Junge Frauen begreifen gerade, dass sie die Rechte, die ihre Großmütter erstritten haben, nicht einfach so behalten, sondern dass sie sie verteidigen müssen, weil konservative Kräfte wie die AfD sie wieder kassieren wollen.“ Ferner sieht Frauen immer noch in einer benachteiligten Rolle. Denn ihnen gehe es um die Sache, den Männern ums Ego, und immer noch trauten Frauen sich zu wenig zu, zögerten zu lange, während Männer bei herausfordernden Aufgaben sofort „Hier bin ich. Das kann ich!“ riefen. Ermunterung hält Ferner deshalb für eines der wichtigsten Instrumente der Förderung. Aus ihrem Mitarbeiterumfeld hört man, die Chefin sei darin gut. Lebt Ferner so ein Stück Mütterlichkeit aus? Dieser Begriff kommt bei ihr nicht vor. Sie denkt und fühlt wohl grundsätzlicher, politisch eben.

Seit 13 Jahren steht Ferner als Bundesvorsitzende an der Spitze der SPD-Frauen. Das wird nur noch bis Mitte 2018 so sein. Als größten Erfolg verbucht sie das zusammen mit der Basis gegen die Parteispitze durchgesetzte „Reißverschlussverfahren“, das besagt, dass sich auf Parteilisten männliche und weibliche Kandidaten abwechseln. Mit ihrem „Doppelspitzen“-Vorstoß landete Ferner 2015 allerdings auf der Verliererseite. Auf dem Dortmunder Parteitag wollte sie Doppel-Führungsspitzen (Mann/Frau) durchsetzen. Parteichef Sigmar Gabriel wusste Ferner an ihrer Seite, doch dann wurde die Abstimmung mit „Verfahrenstricks“, wie sie sagt, ausgebremst. „Mit einer Niederlage kann ich leben, aber nicht, wenn nicht sauber gekämpft wird.“ Das geht gegen’s Prinzip. Wetten, dass das ein Nachspiel haben wird? Genossin Ferner gibt nie auf.

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