In der „Kaffeekisch“ steht die Zeit still

Klarenthal · Mit den alten Industrien verschwinden auch die traditionellen Betriebskantinen. Im Saarland erinnert eine immer noch offene Kaffeeküche an das kulinarische Leben der Bergleute. Kundschaft und Angebot haben sich gewandelt – das Flair ist geblieben.

In der "Kaffeekisch Velsen " ist es immer 11.09 Uhr: Die alte Wanduhr ist vor mehr als einem Jahrzehnt stehengeblieben. Auch vieles andere erinnert an die Hochzeiten des vor knapp drei Jahren beendeten Saar-Bergbaus: Im mächtigen Kühltresen aus den 60er Jahren reihen sich Frikadellen, Salat und Lyoner-Wurst, auf dem Regal stehen Konserven, Senf , Essig, Marmelade oder Piccolos. An der Wand darüber der Bergmanns-Gruß: "Glück auf!".

Die "Kaffeekisch" ist die älteste noch betriebene Bergmanns-Kantine im Saarland - eine Mischung aus Imbiss, Kneipe und Kultort. Immer noch kommen ehemalige Bergleute zum Plausch. Vier Stammtische von Bergbau-Rentnern pro Woche gibt es, sagt Pächterin Elke Orth. "Früher war hier die Hölle los."

Nach jeder Schicht unter Tage drängten sich an den Tischen und Tresen in dem alten Gebäude die Bergleute, um sich vor der Busfahrt nach Hause schnell noch bei einem "Bergmannsfrühstück" zu stärken: Lyoner , Brötchen , Senf , Bier und einen Schnaps. Das Gericht ist immer noch ein Renner. Nur die meisten lassen den Schnaps weg und nehmen Kaffee statt Bier. "Die müssen ja noch fahren", sagt Orth.

Die Kundschaft hat sich geändert. Die bringt die Durchgangsstraße von Saarbrücken durch den Warndt nach Frankreich. Handwerker in Arbeitsklamotten, Geschäftsleute im Sakko, Polizisten in Uniform und leuchtend orange gekleidete Arbeiter der nahe gelegenen Müllverbrennungsanlage prägen das Bild. "Die Qualität stimmt, und der Flair erinnert mich an alte Zeiten", erzählt Ex-Bergmann Thomas Kurtz. Der 48-Jährige bildet in der Nähe Baumaschinenfahrer aus und besucht die "Kaffekisch" seit acht Jahren regelmäßig.

Auch das Angebot hat Orth angepasst: Neben Lyoner oder Bier bietet sie jetzt etwa Brötchen mit Lachs und Hering, selbst gemachte Frikadellen oder Wurstsalat an. Weniger gefragt sind heutzutage Lebensmittel für zu Hause. Vieles steht noch im Regal. Aber: "Das brauchen wir meist nur noch für den Eigenbedarf", erklärt Orth.

Früher war das anders. "Als ich in den 70er Jahren anfing, kamen noch viele Ehefrauen und Rentner, um in den Kantinen einzukaufen. Die Wurst war da oft billiger als beim Metzger, der sie produziert hatte", erinnert sich Martin Becker (54), früher Vize-Chef des Betriebsrates im Bergwerk Saar. Und das war eine saarländische Besonderheit. "An der Ruhr gab es so was nicht. Da haben die Bergwerkskantinen heute eher Bistro-Charakter", berichtet Becker.

Laut Bergwerksbetreiber RAG waren und sind diese nicht für Betriebsfremde zugänglich. Im Saarland gibt es außer in Velsen nur noch eine bewirtschaftete Bergmannskantine am Standort Duhamel. Sie versorgt die dort noch arbeitenden rund 180 RAG-Mitarbeiter und Gäste von außerhalb.

Auch wenn längst nicht so rau wie früher, sei der Ton in Velsen immer noch herzlich: "Erzähl bloß nichts Falsches", flachst Wirtin Elke und rempelt ihren Stammkunden Thomas freundschaftlich mit der Schulter an. 1999 pachtete die heute 58-Jährige zusammen mit ihrem Mann, einem ehemaligen Bergarbeiter , die Kantine. Als der im Jahr 2003 überraschend starb, machte sie allein weiter - und will das auch noch möglichst lange tun.

Dabei ist es nicht das Geld, das sie reizt. "Reich wird man hier nicht." Vielmehr will sie ihr Team nicht missen und sorgt sich um die sechs Frauen, die in Schichten unter der Woche täglich zwischen 5.30 und 18.30 Uhr die Kantine offenhalten. "Wenn es hart auf hart kommt", sagt sie, "sind wir füreinander da."

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