Terrarienfreunde „Extrem ungefährlich“, und so genügsam!

Neunkirchen · Ein Hexennachtstreich lief in Wemmetsweiler etwas aus dem Ruder – Experten brechen eine Lanze für Haustiere der unheimlichen Art.

 So sieht eine chilenische Vogelspinne aus.

So sieht eine chilenische Vogelspinne aus.

Da war aber was los: „Achtung! Im Umkreis Wemmetsweiler Sportplatz ist wohl eine giftige Vogelspinne entlaufen“, postete Melina Walter am Sonntag im Internet - zusammen mit einem Foto. Darauf zu sehen ist ein Flyer mit einem Foto des angeblich gesuchten Exoten. Mehrere dieser Zettel hatte jemand in der Jahnstraße aufgehangen – inklusive Warnung, das Tierchen könnte bei Aufregung giftige Haare aus dem Hinterteil schleudern. 82 Kommentare trudelten ein, von der humorvollen Grillanleitungen bis hin zu panischen Reaktionen à la „Sofort umziehen“.

Alles „maßlos übertrieben“, kommentiert das Michael Raber. „Die sind nicht allzu giftig“ und schon gar keine „aggressiven Monster“. Zum Beweis holt der Diplom-Biogeograph beim Besuch in seinem Fach-Geschäft eine gestreifte Guatemala (Aphonopelma seemanni) aus ihrer Box. Apathisch hängt sie zwischen seinen Fingern. Fast möchte man dem kleinen pelzigen Tierchen aufmunternd über die behaarten Beine streicheln.

 Rabers Reptilienkeller im Ottweiler Stadtteil Steinbach gilt als wahres Eldorado für Freunde der achtbeinigen Kuschelmonster. Und derer gibt es etliche. Kein Wunder, handelt es sich bei der Vogelspinne doch um das ideale Haustier: Exotisch, pflegeleicht, kostengünstig. Füttern zum Beispiel: Raber greift sich aus dem Käfig, in dem es von Heuschrecken nur so wimmelt, ein leckeres Exemplar und setzt sie zu einer relaxt vor sich hin dösenden Acanthoscurria geniculata. Ein Viertelwimpernschlag später ist das Insekt verschwunden und die Fütterung beendet. „Das war’s für die Woche.“ In der Zeitlupe würde man sehen, wie sich die Spinne ihr Opfer krallt und beißt. Im Gegensatz zu hochgiftigen Trichterspinnen oder der berühmt berüchtigten Schwarzen Witwe handelt es sich hier beim Gift mitnichten um eine Waffe, sondern lediglich um eine Verdauungshilfe. Innerhalb von ein bis zwei Stunden löst das Sekret alles Verwertbare auf, so dass die Weißknievogelspinne nur noch aussaugen muss. Zurück bleibt der Chitinpanzer.

Als Hausnummer für die Größe des Terrariums rechnet man die Körperlänge Mal 6. Die Spinnen, die bei Raber auf Käufer warten, sind alle nicht viel länger als zehn Zentimeter, eher deutlich kleiner. Rund 100 zieht der Fachmann derzeit in einem Regal auf, eine ganz besondere Kita! Erwachsen, kosten sie um die 80 Euro. Aber Vorsicht, Suchtgefahr: „Viele fangen mit einer Spinne an und dann werden es plötzlich immer mehr.“ Wobei es auch Liebhaber gibt, die sich exakt ein Exemplar mit ins Büro nehmen, der Ästhetik wegen.

 Veterinär Mark Eichelmann schreibt derzeit ein Buch über Vogelspinnen, genau genommen über ihre Krankheiten. Wie Raber ist auch er von Kind auf ein Fan von allem, was krabbelt und kriecht. Beruflich betreut Eichelmann alle Bewohner des Neunkirchers Zoos plus die dem Zoo angegliederte saarländische Auffangstation für exotische Kleintiere. Dort werden seit der Eröffnung im August 2018 Fundtiere sowie aus tierschutz- und artenschutzrechtlichen Gründen beschlagnahmte Tiere untersucht und bis zu ihrer Vermittlung untergebracht. „Vogelspinnen waren noch keine dabei“, dafür „sehr, sehr viele Schlangen und eine Schnappschildkröte“. Seine erste Vogelspinne hatte Eichelmann mit zehn Jahren. Angst davor sei meistens anerzogen: „Kinder haben dazu per se eine offene Einstellung.“ Das „Igitt“ komme oft von den Eltern. „Richtige Phobien treten selten auf.“ Sehr verbreitet ist dagegen Ekel angesichts „der Unberechenbarkeit, der schnellen Bewegungen und der vielen Beine“.

Normal verfügen Vogelspinnen über keinen besonders großen Aktionsradius. Als Lauer-Jäger sitzen sie permanent in ihrem Loch und warten, dass die Beute vorbeispaziert. Anders die Männchen auf der Suche nach einem Weibchen: „Die können schon 100 bis 200 Meter am Tag zurück legen“, schätzt der Tierarzt. Angreifen würde eine Vogelspinne nur, „wenn man sie ärgert“. Ansonsten flieht sie lieber. Und selbst wenn man gebissen würde, tut das zwar weh, ist aber harmlos. „Jede freilaufende Katze ist wesentlich gefährlicher“, Stichwort multiresistente Keime. Bei den angeblich giftigen Haaren der Vogelspinne handelt es sich in Wahrheit um Brennhaare mit rein mechanischer Abwehr-Wirkung. „Es gibt Arten, die bauen diese Haare in ihre Kokons ein, um die Babys zu schützen.“ Andere wirbeln die Widerhaken-Härchen in die Luft, so dass Angreifer Entzündungen der Augen und der Atmungsorgane davontragen, schwärmt Eichelmann.

 Die Warnung war wohl ein Hexennachtsstreich.

Die Warnung war wohl ein Hexennachtsstreich.

 Eine Vogelspinne im Terrarium. Mit ausreichend Glas davor wirkt sie gar nicht so bedrohlich.

Eine Vogelspinne im Terrarium. Mit ausreichend Glas davor wirkt sie gar nicht so bedrohlich.

 Biogeograph Michael Raber hat in seinem Keller einiges zu bieten. Unter anderem Vogelspinnen.

Biogeograph Michael Raber hat in seinem Keller einiges zu bieten. Unter anderem Vogelspinnen.

Foto: Anja Kernig

 Für Melina Walter hatte die Sache noch ein unerfreuliches Nachspiel. Erhielt sie doch Besuch von der Polizei. Ein Übereifriger hatte sie angezeigt – als Besitzerin einer giftigen Spinne. Dabei wollte sie nur warnen. Solch einen Flyer in der Nachbarschaft mehrere Tage aufzuhängen, „hat für mich nichts mehr mit einem Scherz an Hexennacht zu tun. Die Information war lediglich gut gemeint. Hier wohnen so viele Kleinkinder und Hunde in der Siedlung“, meldet sie sich zurück. „Die Polizei fand das Ganze ebenfalls nicht lustig“, vor allem falsch informiert zu werden.

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