Demenzprojekt in Schiffweiler Verschnaufpause für betagte „Abiturienten“

Schiffweiler · Das Café Segen in Schiffweiler wird seinem Namen auch in Pandemiezeiten gerecht – wenngleich zurzeit nur alle zwei Wochen

 Petra Nix allein am Kaffeetisch: Normalerweise herrscht mehr Leben im Café Segen in Schiffweiler, aber wegen Corona derzeit nur alle 14 Tage.

Petra Nix allein am Kaffeetisch: Normalerweise herrscht mehr Leben im Café Segen in Schiffweiler, aber wegen Corona derzeit nur alle 14 Tage.

Foto: Anja Kernig

. Leise klingt ein Windspiel über der Tür: „Willkommen im Café Segen“, strahlt Petra Nix und bittet zusammen mit ihrer Kollegin Ingrid Rixecker in die ehemalige Diakonissen-Wohnung. Die beiden frischgebackenen Trägerinnen der Schiffweiler Bürgermedaille (wir berichteten) sind heute ganz allein in den Räumlichkeiten im evangelischen Gemeindehaus. Leben herrscht hier derzeit nur alle 14 Tage, wenn sich die auf fünf Personen abgespeckte Gruppe für zwei Stunden trifft.

Links befinden sich die Küche und das behindertengerechte Bad, rechts das Büro und dahinter der Durchgang zum großen Gemeinschaftsraum. „Vorher war es netter“, bedauert Ingrid Rixecker und deutet auf die große Tafel in der Mitte. Aus Einzeltischen zusammengesetzt, dominiert sie den eigentlich gemütlichen Raum – und bietet trotzdem nur sechs Personen Platz, dem Mindestabstand wegen. Corona bedeutet Zensur, hier mehr noch als anderswo. „Eigentlich darf man bei uns alles“: tanzen und singen zum Beispiel oder das alte Vollholz-Büffet mit den vielen Schubladen ausräumen, wenn einem gerade danach ist. Mag jemand mitkochen, dann kocht sie oder er natürlich mit, schält Kartoffeln oder knetet Teig, oder deckt den Tisch und bedient die Anderen während der Mahlzeit. All das ist im Moment schwierig bis unmöglich. Überall lauern Verbote und Einschränkungen – für demente Menschen, die Hauptklientel des Cafés, ein besonders tiefer Einschnitt in ihre Lebensqualität. „Ganz oft geht den Betroffenen das Abstraktionsvermögen verloren“, nennt Petra Nix ein Beispiel. Präsentiert man ihnen einen Apfel- und einen Käsekuchen, können sie diese dank des visuellen Reizes einordnen und sich für einen von beiden entscheiden. Fragt man sie lediglich, ob sie Appetit auf Käse- oder Apfelkuchen haben, sagen ihnen die Begriffe nichts. „Aber wir haben Glück. Die Damen aktuell sind alle gut orientiert. Die kommen gut zurecht.“

Während des Lockdowns im letzten Jahr musste das Café Segen ein halbes Jahr komplett schließen. Inzwischen läuft der Betrieb wieder mit genehmigtem Hygienekonzept. Vorenthalten bleibt den Besuchern die physische Nähe. „Wir müssen versuchen, das mit Worten aufzufangen“, sagt Ingrid Rixecker. „Und immer wieder dran erinnern“, ergänzt Petra Nix. Die ausgebildete Fachkraft für Geronto-Psychiatrie und ihre ehrenamtliche Kollegin stellen gerade eine zweite Gruppe zusammen. Normalerweise gehören Hausbesuche dazu, auch die fallen derzeit weg. „Viele Angehörige sind erst mal skeptisch“, ihnen vermittelt das Duo geduldig, was alles für die Sicherheit getan wird. „Wir testen, wir achten auf Abstände, wie desinfizieren alle Kontaktflächen, wir transportieren maximal zwei Gäste gleichzeitig im Bus, nach jedem Transport wird desinfiziert“, zählt Petra Nix routiniert auf. „Kurz: Wir achten auf alles und jedes.“ „Das Risiko, sich anzustecken, ist hier eher klein“ und definitiv geringer „als bei einem Plausch in der Nachbarschaft“, betont Ingrid Rixecker.

Natürlich auch, weil viele schöne Sachen wegfallen. „Spiele, bei denen Gegenstände von Hand zu Hand gehen“ zum Beispiel, oder Besuche der Rentnerband, die man sonst zwei bis dreimal jährlich eingeladen hat, um gemeinsam Schlager und Volkslieder zu singen. „Je nach Mobilität wurde sogar getanzt. Das waren lustige Nachmittage“, erinnern sie sich und etwas Wehmut schwingt mit. Aber: „Wir freuen uns, wenn es warm wird.“ Dann nämlich kann man die schicke neue Außenterrasse benutzen und vielleicht, mit gebührend Distanz, eine Art Open-Air-Ständchen organisieren.

Doch auch in der jetzigen Form und mit allen Einschränkungen ist das Betreuungs-Café ein Segen. Für die Demenzpatienten, weil sie hier einen geschützten Rahmen vorfinden, „einen Rückzugsort, wo sie nicht gegängelt werden“, so Petra Nix. „Wir konfrontieren niemanden mit seinen Defiziten.“ Demenz kann man sich wie eine Art Abiturprüfung vorstellen. Allerdings jeden Tag aufs Neue, 24 Stunden. „Es herrscht der pure Leistungsdruck. Ich muss permanent alles geben, damit mir die einfachsten Dinge gelingen.“ Hier in der Parkstraße, in den nach einem speziellen Farbkonzept gestrichenen Räumen, „wird nichts verlangt“. Ingrid Rixecker: „Wir holen die Menschen ab, wo sie sind.“

Dazu gehört, alles Tolerierbare zu tolerieren. Etwa wie oben beschrieben, wenn jemand partout Schränke leer räumen will. „Zuhause kann man das nicht akzeptieren“, hier schon. Auch dank der engagierten Helferinnen. „Wir haben eine 1:1 oder maximal 1:2 Betreuung.“

Elf Freiwillige gehören zum geschulten Team, alle vom Alter her 60plus und im Moment rein weiblich. Zwei der Frauen sind schon seit der Eröffnung im Jahr 2010 dabei. Die Bürgermedaille der Gemeinde Schiffweiler versteht Petra Nix auch als Anerkennung für sie – und das Ehrenamt allgemein. „Ich war erst mal überrascht, das war nie mein Plan“, lacht Ingrid Rixecker. Dass das Projekt, welches von der Evangelischen Kirchengemeinde Landsweiler getragen, von den Pflegekassen anerkannt und vom Landkreis Neunkirchen finanziell unterstützt wird, „so groß und stark geworden ist“, erstaunt sie immer noch.

 Ingrid Rixecker vor dem alten Vollholz-Büffet. Wenn einem der Gäste danach ist, darf er oder sie auch die vielen Schubladen ausräumen.

Ingrid Rixecker vor dem alten Vollholz-Büffet. Wenn einem der Gäste danach ist, darf er oder sie auch die vielen Schubladen ausräumen.

Foto: Anja Kernig

Fürchterlich verlegen war Petra Nix zuerst, als sie von der Auszeichnung erfuhr. „Ich mache ja nur meine Arbeit. Und habe sogar Spaß damit!“ Längst sieht sie es differenzierter: „Es ist nicht meine Medaille sondern unsere, für alle Helfer und Angehörigen.“ Gerade letztere „können gar nicht genug gesehen und gewürdigt werden. Das sind die wirklichen Ehrenamtler, die keinen Feierabend haben, die nie fragen, was springt für mich dabei raus.“ Ihnen eine Verschnaufpause zu verschaffen, ist der Gemeinde wichtig – ebenso wie der Umstand, dass die Bürger versorgt werden, weiß Petra Nix inzwischen. „Ich freu’ mich wirklich, wirklich und fühle mich, stellvertretend, unglaublich geehrt“, sagt sie.

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