Halden im Saarland Die stille Lydia und der Hammerkopf

Die Halde Lydia ist eine der markantesten im Saarland. Vor allem ihr Gipfelplateau ist was Besonderes. Wie ein schwarzer Strand liegt es in der Landschaft und begeistert seine Besucher.

 Die Bergehalde Lydia in der Abendsonne. Eingequetscht zwischen den Gleisen und der A 623, rechts ist Dudweiler zu sehen, neben den Gleisen verläuft der Fischbach.

Die Bergehalde Lydia in der Abendsonne. Eingequetscht zwischen den Gleisen und der A 623, rechts ist Dudweiler zu sehen, neben den Gleisen verläuft der Fischbach.

Foto: Robby Lorenz

Sich Lydia zu nähern, ist nicht einfach. 2009 versucht es der Saarländische Bergsteiger- und Skiläuferbund. Er will ein Biathlon-Leistungszentrum auf der Halde in Fischbach bauen. Eine Schießanlage. Wege teeren, damit die damals 15 saarländischen Kaderathleten im Sommer auf Rollen trainieren können. 250 000 Euro will der Verband investieren. Doch die Liebhaber der Halde an der Autobahn wehren sich. Mit Unterschriftenaktionen. In Fischbach, Quierschied, Dudweiler. Nichts dürfe die Stille auf der Lydia stören, ist die Meinung der unterzeichnenden Bürger. Keine Events. Keine Schießereien. Ruhe, bitte. Von Lydia verschmäht, baut der Verband seine Anlage in Lebach-Landsweiler. Auf einem alten Militärgelände. Die Lydia atmet auf. Ihre Liebhaber auch.

Und so steht sie heute ohne Schießstand in der Landschaft. Auf der Ostseite die wenig stille Autobahn, Dudweiler, Hochhäuser. Am Westfuß der Halde die Grube Camphausen – aus deren Stollen der Lydia-Halden-Abraum stammt. Die Eisenbahn im Fischbachtal, das Netzbachtal. Im Norden die Grube Göttelborn nebst Kraftwerk. Im Westen: der Saarkohlenwald, das größte zusammenhängende Waldgebiet im Saarland.

Dort hat die Grube Camphausen ihre Stollen und Schächte reingetrieben. Als im Jahre 1871 die Arbeiter Schacht I und II der Grube abteufen, finden sie zerbrochene Tongefäße, Knochen und Asche. Eine keltische Opferstätte. Deren Ruhe sie stören. 1874 besucht mit Otto von Camphausen der preußische Finanzminister die Grube –  und schenkt ihr seinen Namen. Im selben Jahr entsteht Schacht III, 1879 kommt die Eisenbahn ins Fischbachtal nach Camphausen.

1885 die Katastrophe: Beim Abteufen eines Schachtes kommt es zu einer Schlagwetterexplosion. Resultat: 180 Tote, 30 Verletzte. 1908 eine Meisterleistung des Ingenieurwesens. Die Grube treibt Schacht IV in die Erde. Da sie keinen Platz für ein weiteres Maschinenhaus hat, baut sie dieses einfach auf den Förderturm. Oben drauf. Der erste Eisenbeton-Förderturm der Welt wächst bis 1911 auf 40,7 Meter. Er steht auf vier Stützpfeilern, die sich in elf Metern Tiefe in den Fels krallen. In der oberen Turm-Etage sitzen die zwei AEG-Fördermaschinen mit jeweils 1740 Kilowatt Leistung. In den Erkern ist Platz für die Maschinisten. Der „Hammerkopfturm“ steht heute noch, ist von der Halde aus gut zu sehen. Seit 2016 darf er sich „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst“ nennen. Bis zur Schließung der Grube im Jahre 1990 verrichtet er zuverlässig seine Dienste, fördert Kohle – und vor allem Berge über Tage.

Der Abraum landet bis 1950 auf der Halde Camphausen. Die Bahngleise quetschen sich heute zwischen sie und Lydia. Als sie voll ist, beginnt die Grube, Lydia aufzuschütten. Zunächst als zwei Kegelhalden. Zwischen 1979 und 1982 überschütten sie die beiden Kegel, der Tafelberg entsteht. Eine Kegelspitze spitzt noch heute auf der Nordseite aus dem Plateau in die Landschaft. Am 16. Februar 1986 wieder eine Schlagwetterexplosion. Sieben Kumpel sterben. 1990 hat alles ein Ende. Camphausen stellt die Förderung ein.

Lydia nimmt das alles ziemlich mit. Ihr Zustand ist erbärmlich. Im Nordwesten steht sie auf einem alten Absinkweiher, droht auf dem schwammigen Gelände über die Bahngleise zu rutschen. Haldenbrände im Innern lassen Lydia dampfen. 2003 beginnt ihre Schönheits-OP. Bagger bewegen 400 000 Kubikmeter Bergematerial von oben nach unten. Planierraupen ebnen den neuen Belag ein. Walzen verdichten ihn. Terrassen, neue Wege, Sand wird ins Innere geblasen, um die Brände zu ersticken. Knapp zwei Millionen Euro kostet die OP. 2006 ist Lydia wieder soweit, Gäste zu empfangen.

Erwachsen ist sie geworden, thront auf dem Bergzug Grühlingshöhe und verschlingt eine Fläche von circa 66 Hektar. Das entspricht etwa 100 Fußballfeldern. Lydia überragt das Relief um 60 bis 120 Meter. Ihr höchster Punkt liegt 360 Meter über dem Meer. Zwei Aufstiege gibt es. Einen kurzen auf der Autobahnseite über die grüne Haldenflanke. Auf der Waldseite ist der Aufstieg über die kahle Haldenseite beschwerlicher. Auf dem zwölf Hektar großen Haldenplateau angekommen, wirkt Lydia gar ein wenig entrückt. Was sie auch soll.

Zumindest waren das Unerwartbare und Mystische Leitmotive für Jörg Gimmler und Harald Hullmann. Die beiden haben 2005 das Lydia-Plateau gestaltet. Ohne eine „Pseudo-Natur“ entstehen lassen zu wollen, wie sie sagen. Sie setzen nur dezente Eingriffe. Die Schutthaufen an den Rändern lassen sie einfach liegen. Es sind die letzten Lkw-Ladungen Bergeabraum. Hullmann & Gimmler pflanzen darauf ein paar Bäume und nennen die Landschaft „Jardin mystique“, mystischer Garten. In der Mitte des Plateaus legen die Landschaftsplaner drei Senken an, verfüllen sie mit einer Lehmschicht. Wasser kann nicht mehr versickern. Die kleinen Teiche taufen sie „Himmelsspiegel“. Tatsächlich fordert dieser Ort zum Innehalten auf. Zum Widerspiegeln. Zur Neu-Orientierung. Zum Einordnen. Nicht nur die Mondlandschaft fordert dies vom Besucher ab. Auch die Stille an diesem schwarzen Strand, dessen Meer im Westen der grüne Wald ist. Und im Osten die wuselige Zivilisation.

Fossilien kann der Besucher auf der Halde suchen – und vielleicht die Antwort auf die Frage, warum die Lydia Lydia heißt. Das kommt so: 1924 nennt die Grubenverwaltung einen Wetterschacht der Grube in Lydia-Schacht um. Weil die Frau des damals zuständigen Grubendirektors so heißt. Den Schacht gibt es heute nicht mehr. Die Lydia steht drauf. Und schließt jeden ins Herz, der einen Sinn fürs Unerwartbare hat. Außer er will auf ihr einen Schießstand bauen.

Alle Teile der Serie:
1. Die Gipfel der Berge
2. Halde Grühlingstraße
3. Halde Lydia
4. Halde Göttelborn
5. Halde Landsweiler-Reden
6 Halde Duhamel
7. Leserfotos

 Die Grube Camphausen mit dem Hammerkopfturm (l.) im Jahr 1919. Damals gab es noch nicht viel zu sehen von Fischbach.

Die Grube Camphausen mit dem Hammerkopfturm (l.) im Jahr 1919. Damals gab es noch nicht viel zu sehen von Fischbach.

Foto: Gemeinde Quierschied
 1976 war die Grube in Fischbach-Camphausen bereits ausgewachsen. Bis 1990 sollte sie fast jeden Tag Kohle fördern.

1976 war die Grube in Fischbach-Camphausen bereits ausgewachsen. Bis 1990 sollte sie fast jeden Tag Kohle fördern.

Foto: Gemeinde Quierschied
 Die Lydia dampft. So sieht ein Haldenbrand aus. Heute dampft die Lydia nicht mehr. Ihre Oberfläche ist verdichtet.

Die Lydia dampft. So sieht ein Haldenbrand aus. Heute dampft die Lydia nicht mehr. Ihre Oberfläche ist verdichtet.

Foto: Walter Barbian
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