Er gab dafür einen Top-Posten auf Der Mann, der seinen Kindheitstraum lebt

Zweibrücken · Gerhard Cleemann hatte einst einen Top-Posten bei John Deere. Und gab alles auf, um seinem Kindheitstraum zu folgen. Der Zweibrücker, der heute 80 Jahre alt wird, kann zufrieden sein. Denn er verkauft seine Modelleisenbahnen nach wie vor in alle Welt. Dabei war der Anfang so steinig, dass sogar das Bundeskartellamt helfend einschritt.

 Gerhard Cleemann im weitläufigen Keller seines Anwesens in Bubenhausen. Hier hegt er ein Arsenal an Spielwaren, vor allem rund um das Thema Modelleisenbahn, das seinesgleichen sucht. Cleemann schätzt, dass es tausende Artikel sind. Er verkauft seine Miniaturzüge, -anhänger und mehr nach wie vor an Sammler rund um den Globus.

Gerhard Cleemann im weitläufigen Keller seines Anwesens in Bubenhausen. Hier hegt er ein Arsenal an Spielwaren, vor allem rund um das Thema Modelleisenbahn, das seinesgleichen sucht. Cleemann schätzt, dass es tausende Artikel sind. Er verkauft seine Miniaturzüge, -anhänger und mehr nach wie vor an Sammler rund um den Globus.

Foto: Mathias Schneck

Gerhard Cleemann zählt zu den wichtigsten Händlerpersönlichkeiten in Zweibrücken. Nur wenige Kaufleute haben in der Rosenstadt derart ihre Kreise gezogen wie er. Der Samen für sein erfolgreiches Wirken als Spielwarenhändler wurde früh gelegt. Durch seine Eltern. Die ihm schweren Herzens einen Wunsch versagen mussten – und damit, ohne es zu ahnen, sein Berufsleben entscheidend prägen sollten.

„Ich habe mir als Kind so sehr eine Modelleisenbahn gewünscht. Aber meine Eltern konnten mir das finanziell nicht ermöglichen“, blickt Cleemann zurück.

Wer hätte gedacht, dass daraus später eine Karriere als Einzelhändler für Spielwaren erwachsen würde? Mit einem Schwerpunkt – natürlich – auf Modelleisenbahnen.

Cleemann wird an diesem Dienstag 80 Jahre alt. Ein schöner Anlass für den Pfälzischen Merkur, diesen bekannten Zweibrücker (und treuen Leser) zu besuchen. Und mit ihm gemeinsam auf sein Wirken als Einzelhändler zurückzublicken.

Aber was heißt Rückblick? Vorausblick trifft es auch. Denn Cleemann ist nach wie aktiv. Einmal Händler, immer Händler.

Der Keller seines Wohnhauses in Bubenhausen mutet in seiner Weitläufigkeit wie ein kleiner Himmelsbergstollen an. Ein Raum, nach dem anderen, überall Regale und Kisten.

Weltweit ordern die Kunden bei dem Zweibrücker, die Ware geht bis nach Australien, Alaska, Südafrika oder Japan. Ein Imperium der Spielfreude, gespeist aus diesem geheimnisvollen Keller.

Fast wäre alles ganz anders gekommen. Denn Cleemann wählte zuerst einen konventionellen Weg. Bei einem Steuerberater in Bensheim an der Bergstraße ging er in die Lehre und machte den Abschluss als Gehilfe im wirtschaftsprüfenden und steuerberatenden Beruf – mit einer Einsernote. Zielstrebig arbeitete er sich nach oben, bis er, Jahre später, bei John Deere Leiter der Finanzabteilung war.

Ein Posten, von dem andere nur träumen konnten. Doch Cleemann träumte von etwas anderem. Von Modelleisenbahnen. Sein Kindheitstraum hatte nie aufgehört. „Es hat wahrscheinlich damit zu tun, dass mein Großvater Max Forcher Lokführer war“, grübelt er. Das „Zug-Virus“ lag in der Familie.

Cleemanns Herz hatte sich längst entschieden, als sein Kopf noch immer kein grünes Licht geben wollte. In langen Nächten rechnete immer wieder alles durch: „Kann ich davon wirklich eine Familie ernähren?“

Erst einmal ließ er seine Leidenschaft parallel zum Beruf laufen. Im November 1975 wurde in Zweibrücken der Modelleisenbahnclub aus der Taufe gehoben. Cleemann war Gründungsmitglied. „Da niemand in der Stadt Räumlichkeiten frei hatte, stellte ich für den Club den Hobbyraum in meinem Haus zur Verfügung.“ Nun konnte er mit Gleichgesinnten fachsimpeln und herausfinden, was gerade angesagt ist.

Um zu testen, wie groß das Potential ist, meldete er im Dezember 1975 einen Einzelhandel mit Spielwaren an. „In einem an den Hobbyraum angrenzenden Zimmer von neun Quadratmetern richtete ich mein Geschäft ein. Die Theke wurde aus ausgedientem Küchenmöbel und Spanplatten notdürftig zurechtgezimmert. Hier verkaufte ich in meiner Freizeit, in Abendstunden und an Samstagen Modelleisenbahnen und Zubehör“, denkt Cleemann lächelnd an die bescheidenen Anfänge zurück. Alles lief in der Freizeit.

Im Februar 1976 gab es eine kalte Dusche. „Stolz wie ein Pfau besuchte ich die Spielwarenmesse in Nürnberg“, berichtet Cleemann. Er sei bei den Platzhirschen in der Branche vorstellig geworden, habe versucht, mit ihnen Lieferverträge zu vereinbaren.

Aber diese gingen auf Distanz. „Meine Enttäuschung war enorm. Keiner der Großen wollte mich beliefern! Es gab Kräfte aus dem Zweibrücker und Pirmasenser Handel, die auf die großen Namen einwirkten, mich nicht zu beliefern. Ich musste erst einmal mit kleineren Herstellern vorlieb nehmen.“

Cleemann konnte das in seinem Elan aber nicht nachhaltig bremsen. Mittlerweile war ihm bewusst: Seine Träume waren keine Schäume. Die Tätigkeit als Feierabend-Händler nahm immer größere Ausmaße an. Offensichtlich gab es jede Menge Menschen in Zweibrücken und der Umgebung, die Spaß an Modelleisenbahnen hatten. Cleemann brach zuhause eine Wand heraus und schon wurden aus seiner Neun-Quadratmeter-Laden-Puppenstube immerhin 30 Quadratmeter.

Als 1978 der Modelleisenbahnclub das Stellwerk am ehemaligen Bubenhauser Übergang als Clubheim zugesagt bekam, wurde dort ein Verkaufsraum von 150 Quadratmetern eingerichtet. Es wuchs und wuchs.

Cleemann hatte mittlerweile auch deutlich gemacht, dass er nicht nur träumen, sondern auch die Zähne zeigen kann. Er drohte den großen Händlern, die ihn hatten abblitzen lassen, mit dem Bundeskartellamt. Die Bundesbehörde stärkte Cleemann den Rücken: Es gebe ein öffentliches Interesse daran, dass auch kleinere Händler korrekt beliefert werden. Unter diesem Druck erklärten sich die großen Produzenten nach und nach bereit, ihm endlich alles zu beschaffen, was er wollte.

Cleemann wusste: Jetzt konnte er es riskieren. „Am 31. März 1983 kündigte ich bei John Deere – elf Tage vor meinem 40. Geburtstag“, weiß er es noch auf den Tag genau. Seine Vorgesetzten dürften Bauklötze gestaunt haben, als er erklärte, dass er nicht mehr Leiter der Finanzabteilung sein möchte – sondern lieber Modelleisenbahnen verkaufen möchte. „Erst heute, im Nachhinein, wird mir so richtig bewusst, was ich damals eigentlich riskiert habe“, erinnert er sich lächelnd und nimmt einen genießerischen Schluck von seinem Gewürztraminer, den er so sehr liebt.

An unterschiedlichen Standorten in der Fußgängerzone betrieb Cleemann in den vergangenen Jahrzehnten Läden. Seine ursprünglichen Geschäfträume in Bubenhausen bestehen bis heute. Nach und nach eröffnete der ehrgeizige Händler in der Innenstadt weitere Adressen. Es begann im Frühjahr 1985 mit der Hauptstraße 46 unter dem Namen „Ratzefummel“. Später ging es zusätzlich an den Hallplatz sowie in die neue Hallplatz-Galerie, Cleemann verkaufte Spielwaren, Schulbedarfsartikel und mehr.

Heute betreibt Cleemann noch zwei Adressen: Sein Stammgeschäft in Bubenhausen und ein weiteres Spielwarengeschäft in der Hauptstraße 31 bis 33 – geführt von seiner Tochter Sandra als Prokuristin.

Viele Jahrzehnte sind vergangen, seit der Zweibrücker beschlossen hat, seinem Kindheitstraum zu folgen – in aller Konsequenz.

Was bleibt? Cleemann, der gläubiger Christ ist und regelmäßig die Gottesdienste der Neuapostolischen Kirche in Zweibrücken besucht, weiß, dass es andere Werte sind, die die Zeit überdauern werden.

Aber natürlich sollte darüber das Irdische nicht vernachlässigt werden. Und hier sieht der 80-Jährige das Erbe dank seiner Tochter in den besten Händen. Sie hat viel von ihrem Vater gelernt.

Und was kann der Leser lernen, der auch seinen Träumen folgen will? „Nichts überstürzen. Genau überlegen. Rechnen“, nennt der Kaufmann die Quintessenz seines Schaffens. „Eine kaufmännische Ausbildung ist von großem Vorteil, wenn man ein eigenes Geschäft auf die Beine stellen möchte.“

Er macht darauf aufmerksam, dass es in der Innenstadt für alle, die es ihm gleichtun wollen, mittlerweile eine Art „Probelabor“ gibt. „Der Pop-up-Store in der Hauptstraße 52 ist eine tolle Sache. Da kann jeder in bester Lage auf knapp 50 Quadratmetern, bei ganz niedrigen Mietkosten, testen, ob seine Idee ankommt. Ein sehr gutes Angebot, das die Stadt da geschaffen hat“, lobt Cleemann.

Eine solche Herangehensweise gefällt dem Zweibrücker: Der Kopf kühl und das Herz heiß – so bleibt der Kindheitstraum auch mit 80 Jahren noch quicklebendig.

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