Jahrestag Streit über Gedenken an Auschwitz-Befreiung

Warschau · An die 200 ehemalige Häftlinge und Holocaust-Überlebende werden da sein. Auch die Könige Spaniens, der Niederlande und Belgiens haben sich angekündigt, genauso wie etwa 20 weitere Staats- und Regierungschefs, unter ihnen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

 Flog aus Protest gegen Putin nicht nach Jerusalem: Polens Präsident Andrzej Duda.

Flog aus Protest gegen Putin nicht nach Jerusalem: Polens Präsident Andrzej Duda.

Foto: Czarek Sokolowski/AP/dpa/Czarek Sokolowski

Sie alle wollen am Montag an Ort und Stelle der Befreiung des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau vor 75 Jahren gedenken.

Die große Zahl überrascht den Leiter der Gedenkstätte im südpolnischen Oswiecim, Piotr Cywinski, nicht: „Viele Entscheider verstehen hervorragend, dass es schwierig ist, an diesem Tag irgendwo anders zu sein.“ Denn das Symbol der Befreiung von Auschwitz gehört zu den „wichtigsten Fundamenten der Nachkriegszeit in Europa und der Welt“.

Sowjetische Soldaten befreiten das Lager am 27. Januar 1945. Bei der Gedenkfeier am Jahrestag sollte es eigentlich ausschließlich um den Völkermord und die Lehren aus ihm gehen. So ist es aber zum Bedauern des polnischen Oberrabbiners Michael Schudrich nicht. „Die Erinnerung an den Holocaust, dessen grauenhaftes Symbol Auschwitz ewig bleibt, darf nicht für politische Spiele genutzt werden. Es ist sehr traurig, dass es dazu 75 Jahre nach der Befreiung des deutschen Vernichtungslagers kommt“, sagte er.

Groß ist der Unmut in Polen über die Attacken des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er hatte im Dezember Polen für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und den Holocaust mitverantwortlich gemacht. Warschaus Botschafter in Berlin bis 1939, Jozef Lipski, bezeichnete Putin als „antisemitisches Schwein“.

Schudrich dazu: „Was Putin sagt, ist eine Lüge.“ Die Warschauer Regierung sei kein Verbündeter Nazi-Deutschlands gewesen. Auch Polens Präsident Andrzej Duda beschuldigte Putin der „Lüge“ und der „völligen Verzerrung der historischen Wahrheit“. Warschau befürchtete, dass Russlands Staatschef auch beim Welt-Holocaust-Forum am Donnerstag in Jerusalem polemisieren würde. Auch deshalb wollte Duda dort das Wort ergreifen. Als ihm das verwehrt wurde, sagte er seine Teilnahme in Yad Vashem ab.

Putin verschonte in Israel die Polen – zumindest auf den ersten Blick. Er erwähnte sie in seiner Rede als Opfer der deutschen Verbrechen. Er betonte jedoch, man dürfe nicht vergessen, dass es bei den Verbrechen „Mittäter, Handlanger“ gegeben habe. „An Grausamkeit übertrafen sie häufig ihre Herren“, so der Kremlchef offenbar mit Blick auf Polen, Ukrainer und Litauer.

Da prallen Welten aufeinander. Denn in Polen entstanden in den vergangenen Jahren mehrere Gedenkstätten, Museen und auch eine Kapelle für die Polen, die ihr Leben riskierten, um Juden im Zweiten Weltkrieg zu retten. Sie versteckten sie vor den deutschen Besatzern, besorgten gefälschte Dokumente und halfen ihnen bei der Flucht. Israel zeichnete rund 7000 Polen für die Rettung von Juden als „Gerechte unter den Völkern“ aus – so viele wie aus keiner anderen Nation.

Schon immer waren die Polen es leid, dass ausländische Medien Auschwitz gelegentlich als „polnisches“ Lager bezeichneten und damit ihnen – zumindest indirekt – eine Verantwortung für den Holocaust zuschoben. Deswegen setzte Warschau 2007 bei der Unesco durch, dass Auschwitz auf deren Welterbeliste den Zusatz „deutsches nationalsozialistisches Konzentrations- und Vernichtungslager (1940-1945)“ erhielt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Anfang Dezember bei einem Besuch in der Gedenkstätte klargestellt: „Auschwitz war ein deutsches, von Deutschen betriebenes Vernichtungslager.“ In Polen fand das viel Beachtung.

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