Vorstoß aus der EU-Kommission Kommt bald der europäische Mindestlohn?

Brüssel · Als Ursula von der Leyen (CDU) im Sommer Kandidatin für den Chefposten der EU-Kommission wurde, musste sie um die Stimmen der Sozialdemokraten buhlen. Es kam bei ihrer Wahl auf jede Stimme an. Die Christdemokratin übernahm in dieser Werbephase eine Position, die die Sozialdemokraten im Europa-Wahlkampf vertreten hatten.

Sie versprach, sich für Mindestlöhne in der gesamten EU stark zu machen. Wenige Wochen nachdem die Von-der-Leyen-Kommission Anfang Dezember ihre Arbeit aufgenommen hat, folgt nun ein erster Schritt. Die Kommission fragt bei Arbeitgebern und Gewerkschaften an, was sie von der Idee von Mindestlöhnen halten. Dieser so genannte Konsultationsprozess ist jedem Gesetzgebungsverfahren in Brüssel vorgeschaltet. Nach der Sitzung der Kommissare, bei der es erstmals um das Thema ging, hieß es: Nichts sei entschieden, die Kommission sei im Zuhörmodus und wolle zunächst einmal herausfinden, ob der Wunsch nach EU-weiten Mindestlöhnen überhaupt gegeben sei. Frühestens im Sommer sei mit einem konkreten Gesetzgebungsvorschlag aus Brüssel zu rechnen.

Die Kommission um die Deutsche Von der Leyen weiß: Mindestlöhne sind ein heißes Eisen. Das liegt zum einen daran, dass es derzeit nur in 21 von demnächst 27 Mitgliedstaaten gesetzliche Mindestlöhne gibt. Vielfach werden Mindestlöhne zwischen den Tarifvertragsparteien ausgehandelt. Außerdem: Die EU hat bislang wenig Kompetenzen in der Sozialpolitik. Und die Mitgliedstaaten schauen immer dann mit Argusaugen nach Brüssel, wenn die EU neue Zuständigkeiten aus den Mitgliedstaaten verlagern will. Daher baut die Kommission bereits jetzt vor: Selbstverständlich werde auf nationale Besonderheiten Rücksicht genommen. Aber der für Jobs und soziale Rechte zuständige Kommissar, der Luxemburger Nicolas Schmit, stimmte schon einmal auf das Thema ein: „In den nächsten Jahren wird sich das Arbeitsleben von Millionen von Europäern ändern. Wir müssen dafür sorgen, dass auch in Zukunft die Arbeitskraft blüht.“ Es gehe um Qualitätsarbeitsplätze, die fair bezahlt werden.

Von der Leyens Bekenntnis zum Mindestlohn stieß von Anfang an auf Argwohn unter ihren Partei­freunden. Der Wirtschaftsexperte der Unionsabgeordneten im Europa-Parlament, Markus Ferber (CSU), mahnt bereits: „Europäische Gleichmacherei beim Mindestlohn schadet mehr, als sie hilft.“

Anstatt mit der „Harmonisierungskeule“ zu kommen, möge die Kommission doch besser dafür sorgen, dass diejenigen Mitgliedstaaten, die noch keine Untergrenze haben, ein passgenaues nationales Regime bekommen.

SPD-Sozialexpertin Gabriele Bischoff begrüßt den Ansatz: „Statt Sonntagsreden für das soziale Europa braucht es endlich konkrete Maßnahmen für angemessene Einkommen.“ Die Sozialdemokraten wollen einen europäischen Mindestlohn, der sich an dem jeweiligen mittleren Einkommen in den Mitgliedsstaaten orientiert. Bischoff peilt 60 Prozent von diesem so genannten Medianlohn als verbindliche europäische Untergrenze an. Falls sich die Kommission diesen Vorschlag zu eigen macht, dürfte es heftigen Protest vonseiten der deutschen Arbeitgeber geben. In Deutschland beträgt der Mindestlohn seit Jahresanfang 9,35 Euro je Arbeitsstunde. Bei einem Mindestlohn von 60 Prozent des Medianlohnes müssten aber knapp zwölf Euro bezahlt werden. Nur in Bulgarien, Frankreich, Slowenien und Portugal liegt der Mindestlohn derzeit in der Nähe der 60-Prozent-Marke.

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