Volksvertreter am Nasenring der Banker

Stuttgart. Das Bild des Politikers, der sich am Nasenring durch die Manege führen lässt, ist wieder allgegenwärtig. Ein Ministerpräsident, von Volksvertretern gewählt zum obersten Repräsentanten des Landes Baden-Württemberg, lässt sich Anweisungen geben von einem Banker - und folgt diesen geradezu hündisch. Sicher, dem Vorstandschef kann das Gemeinwohl-Interesse egal sein

Stuttgart. Das Bild des Politikers, der sich am Nasenring durch die Manege führen lässt, ist wieder allgegenwärtig. Ein Ministerpräsident, von Volksvertretern gewählt zum obersten Repräsentanten des Landes Baden-Württemberg, lässt sich Anweisungen geben von einem Banker - und folgt diesen geradezu hündisch.Sicher, dem Vorstandschef kann das Gemeinwohl-Interesse egal sein. Dem Regierungschef aber nicht. Der Skandal besteht darin, dass Verantwortung geradezu ausgelagert wurde. Ausgerechnet ein Vertreter der Finanzbranche, die sich politische Einmischung stets verbittet, greift also in Staatshandeln ein und hilft aktiv mit, eine demokratische Legitimierung auszuhebeln. Dass auf diese Weise das Vertrauen in eine gerechte, auf Ausgleich und Gleichbehandlung bedachte Politik weiter schwindet, ist logisch.

Der Philosoph Jürgen Habermas wirft der heutigen Politikergeneration vor, sie verzichte "im Bewusstsein der schrumpfenden Handlungsspielräume auf Ziele und politische Gestaltungsabsichten". Das allerdings kann man dem Stuttgarter Ex-Regioerungschef Stefan Mappus wirklich nicht vorwerfen. Gestalten, das wollte er. Die Menschen wiederum wollen, dass vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise die von ihnen Gewählten der Finanzbranche Leitplanken und Begrenzungen einziehen. Das Gewackel um die Finanztransaktionssteuer aber zeigt einmal mehr die Beißhemmung der Politik den Banken gegenüber. Und dann auch noch der Stuttgarter Deal mit überteuerten Anteilen des Energiekonzerns EnBW: Da demonstrieren Bankchef Dirk Notheis und Ministerpräsident Mappus in ihrer kumpelhaften Nähe eine Amigo-Kultur, die längst überwunden schien.

Dabei illustriert das Bild des Nasenrings längst nicht nur den Fall EnBW. Es steht auch symptomatisch für den schleichenden Verlust der Souveränität von Parlamenten. Die Kanzlerin ignoriert beim Europäischen Stabilitätspakt den Bundestag mit Hinweis auf die sensiblen "Märkte". Mappus umgeht den Stuttgarter Landtag mit Verweis auf die Flatterhaftigkeit der Aktienkurse. Es sind Demonstrationen freiwilliger Ohnmacht, die Spuren undemokratischen Geistes aufscheinen lassen. Denn wem, wenn nicht dem Volk gegenüber, sollte eine Regierung Rechenschaft über die Verwendung von Steuergeld ablegen - zumal in Größenordnungen, wie sie derzeit bewegt werden? Was, wenn das Volk nicht einstehen will für vordemokratische Bakschisch-Strukturen anderer Länder? Was, wenn es gar nicht an einem Energieriesen beteiligt sein will? Die Meinung des zahlenden Volkes aber wurde erst gar nicht eingeholt.

Deshalb war es so wichtig, dass die Karlsruher Verfassungsrichter das entwürdigende Abnicken in Parlamenten für unzulässig erklärten. Dass sie klarstellten: Das Primat der Politik gilt unverbrüchlich und ist einzuhalten. Auch in Stuttgart hatte das Verfassungsgericht gerügt, dass Kursschwankungen noch lange kein Grund seien, auf "eine vorrangige Entscheidung des für Budgetfragen zuständigen Parlaments zu verzichten". An Einträgen ins Stammbuch fehlt es also nicht. Womöglich braucht es bisweilen Entgleisungen, um die richtige Spur wieder zu erkennen. Politiker dürfen sich - so kompliziert manche Sachfrage auch sein mag - nicht selbst zu Handlangern einer Branche machen, für die legitimerweise nur eigene Interessen zählen.

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