Schäubles mutige Zahlen

Meinung · Traurig, aber wahr: Seit 1969 hat sich kein deutscher Finanzminister mehr sonderlich mit Ruhm bekleckert. Es war das letzte Jahr, in dem der Bund mehr eingenommen als ausgegeben hat. Nun schickt sich Wolfgang Schäuble an, den Geist von 1969 neu zu beleben

Traurig, aber wahr: Seit 1969 hat sich kein deutscher Finanzminister mehr sonderlich mit Ruhm bekleckert. Es war das letzte Jahr, in dem der Bund mehr eingenommen als ausgegeben hat. Nun schickt sich Wolfgang Schäuble an, den Geist von 1969 neu zu beleben. Nach dem aktuellen Haushaltsentwurf für das kommende Jahr und der mittelfristigen Finanzplanung soll der Bund schon 2016 nicht nur nicht mehr ausgeben als einnehmen. Schäuble will sogar mit dem Tilgen der horrenden Bundesschulden beginnen. Schön wär's. Doch der Plan ist eigentlich schon Makulatur, bevor die Regierung heute einen förmlichen Beschluss darüber fassen will.Das hat mehrere Gründe. Nach langem Gefeilsche um die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für den Fiskalpakt haben die Länder erst letzte Woche dem Bund kostenträchtige Zugeständnisse abgerungen, die in Schäubles Zahlenwerk bislang keinerlei Berücksichtigung finden. Zwar beteuert sein Ressort, dass die Neuverschuldung - 2013 immerhin noch knapp 19 Milliarden Euro - deshalb nicht stärker steigen müsse. Doch an eine Schuldentilgung ist praktisch nicht mehr zu denken. Hinzu kommt, dass der Bund den Ländern einen Freifahrtschein ausgestellt hat, den im Vergleich zur deutschen Schuldenbremse noch steileren Schuldenabbaupfad im Fiskalpakt nicht ganz so ernst zu nehmen. Laut Abmachung trägt der Bund mögliche Strafzahlungen allein, egal ob die Länder dazu ihren Teil beigetragen haben oder nicht. Das ist ein schlechtes Signal, denn es suggeriert, dass der Bund aus den Vollen schöpfen kann. Kann er aber nicht. Erst am Montag wurde bekannt, dass die gesamtstaatliche Verschuldung einen Rekordwert von fast 2,1 Billionen Euro erreicht hat. Weit mehr als die Hälfte davon zu Lasten des Bundes. Als europäisches Sparvorbild taugt Deutschland also mitnichten.

Womit ein weiteres Kardinalproblem der aktuellen Haushaltsplanung umschrieben wäre. Die immer noch vergleichsweise prächtige Konjunktur leistet dem Irrglauben an einen ewigen Aufschwung offenbar weiter Vorschub. Dabei gibt es bereits genügend Vorboten für eine Eintrübung der Lage: weniger Auftragseingänge, Personalabbau in großen Konzernen, mittelfristig auch wieder höhere Zinsen für deutsche Staatsanleihen. Von einer möglichen Pleite Griechenlands und der Flucht Italiens unter den Euro-Rettungsschirm ganz zu schweigen.

So wird die Regierungsvorlage zum reinen Wunsch-Haushalt. Ein Etat, der nahezu alle Risiken ignoriert und die nationale Wirtschaftskraft überschätzt. Schäuble läuft Gefahr, in Sachen Schuldenabbau schon bald in einem Atemzug mit seinen Vorgängern Steinbrück und Eichel genannt zu werden - engagiert, aber gescheitert.

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