Der deutsche Schicksalstag

Meinung · Wenn es doch so einfach wäre mit den Feiertagen, wie in Kenia: Da hat Präsident Mwai Kibaki den 6. November per Dekret zum Feiertag erklärt, weil "Kenias Sohn" Barack Obama US-Präsident geworden ist. In Deutschland dagegen will so recht niemand den historischen Schicksalstag schlechthin, den 9. November, rot im Kalender markieren

Wenn es doch so einfach wäre mit den Feiertagen, wie in Kenia: Da hat Präsident Mwai Kibaki den 6. November per Dekret zum Feiertag erklärt, weil "Kenias Sohn" Barack Obama US-Präsident geworden ist. In Deutschland dagegen will so recht niemand den historischen Schicksalstag schlechthin, den 9. November, rot im Kalender markieren. Denn es hieße, sich nicht nur an absolute Glücksmomente zu erinnern, sondern auch an Zeiten der Schande, als Deutschland am Tiefpunkt angelangt war.Der 9. November 1989 war ein solcher Glücksmoment in der Geschichte des deutschen Volkes, als die Mauer fiel, an der viele in den 28 Jahren seit ihrem Bau ermordet wurden, nur weil sie frei leben wollten. Der Rausch dieser Tage im November 1989 ist lange vorbei, doch der Mauerfall markiert viel plastischer und emotionaler die Zeitenwende als der spätere Einigungstag vom 3. Oktober 1990. Die Revolution vom 9. November 1918, vor genau 90 Jahren, war auch eine Zeitenwende, brachte sie doch das Ende des schrecklichen 1. Weltkriegs und des undemokratischen Kaiserreichs. Die Hoffnung auf ein besseres Leben trog indes: An einem 9. November versuchte ein fanatischer Antisemit namens Adolf Hitler 1923 in München noch erfolglos, zusammen mit Weltkriegssoldaten zu putschen. Als Diktator ließ dieser Hitler dann am 9. November 1938, vor genau 70 Jahren, in der Reichspogromnacht Juden umbringen, aus ihren Wohnungen prügeln, ihre Synagogen anzünden und ihre Würde mit Füßen treten. Und die Masse der Deutschen schaute zu oder machte mit. Dass ein Jahr später, im November 1939, ein mutiger Schreiner namens Georg Elser Hitler im Münchener Bürgerbräukeller umzubringen versuchte, um der deutschen Geschichte kurz nach dem Überfall auf Polen noch eine Wendung zum Besseren zu geben, ist bei den meisten längst vergessen.Warum wagen wir Deutschen nicht, uns zu dieser Geschichte zu bekennen? Einen würdigeren nationalen Feiertag gibt es nicht. Es muss an dem Verständnis des Wortes liegen: Denn zu feiern ist dieser 9. November nur teilweise, dafür ist er so erinnerungsmächtig wie kein anderer. Wenn wir diesen Tag zum Innehalten nutzten, zum Nachdenken darüber, woher wir kommen und wohin wir gehen, müsste uns vor der Zukunft nicht bang sein. Es wäre ein Beweis der Reife: Ein Beweis, dass wir gleichermaßen bereit sind, uns den Tiefstpunkten unserer Geschichte zu stellen und die Höhepunkte zu feiern. Wie dieser Gedenktag heißen könnte, steht auf einem anderen Blatt: Der deutsche Schicksalstag bleibt er bis in eine ferne Zukunft.

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