Brüssel badet im transatlantischen Glück

Brüssel. "Ein Wendepunkt für Europa", strahlt Javier Solana, Außenbeauftragter der Europäischen Union, am frühen Mittwochmorgen. "Ein Wendepunkt für die Welt", ergänzt José Manuel Barroso, der EU-Kommissionspräsident, wenig später

Brüssel. "Ein Wendepunkt für Europa", strahlt Javier Solana, Außenbeauftragter der Europäischen Union, am frühen Mittwochmorgen. "Ein Wendepunkt für die Welt", ergänzt José Manuel Barroso, der EU-Kommissionspräsident, wenig später. Die Wahl Barack Obamas zum neuen US-Präsidenten wird in Brüssel nicht nur diplomatisch gewürdigt, sondern mit feierlicher Erleichterung aufgenommen. "Wir haben große Erwartungen", betont Barroso. "Obama ist eine Chance - für uns alle." Europa erwacht an diesem Morgen "in einem neuen Zeitalter" - so empfindet es zumindest der Kommissionschef. Ob Klimaschutz, transatlantische Wirtschaftspartnerschaft oder Außenpolitik - über Jahre hinweg hatte eine immer selbstbewusstere EU gegen die Alleingänge und Blockaden der Regierung George W. Bush angekämpft. Solana kann ein Lied davon singen: Im Schatten immer neuer militärischer US-Drohungen gegen den Iran versuchte er, Teheran im Atomstreit diplomatisch zum Einlenken zu bewegen. Von Barack Obama, so heißt es in Solanas Umfeld, erhoffe man sich einen "echten Politikwechsel". Der wäre auch notwendig, wenn Amerika die Europäer nicht verlieren will. Denn Brüssel steht vor der Herausforderung, die künftige Position der Gemeinschaft zwischen den USA und Russland neu zu finden. In wenigen Tagen wird man mit der Kreml-Führung zum ersten Gipfel seit der Kaukasus-Krise zusammentreffen. Dabei geht es durchaus um existenzielle Themen, zum Beispiel die Energiesicherheit von morgen, die so manche EU-Regierung von einem Schulterschluss mit dem Nachbarn der Gemeinschaft im Osten träumen lässt. Dass solche Visionen durch die Bush-Regierung bestärkt wurden, die keine Gelegenheit ausließ, Europa zu brüskieren, das wird an diesem Mittwochmorgen immer wieder zitiert. Obamas Wahl führt auf den Gängen der EU-Gebäude zu einer regelrechten Renaissance transatlantischer Freundschaftsgefühle: "Amerika hat keinen besseren Partner als Europa" - dieser Satz des künftigen US-Präsidenten aus seiner Rede vor der Berliner Siegessäule wird fast schon genüsslich immer wieder zitiert. Weitaus zurückhaltender klingen dagegen die Töne aus dem Nato-Hauptquartier. "Die heutigen Herausforderungen erfordern eine immer größere Zusammenarbeit", erklärte fast schon distanziert der Generalsekretär des Bündnisses, Jaap de Hoop Scheffer, zur Wahl Obamas. Die Allianz ist verunsichert, wie Washington seine Dominanz in der Nato nun ausgestalten wird. Bush hatte - nicht zuletzt nach dem Georgien-Konflikt - das Bündnis zur Speerspitze der Isolation Russlands gemacht. Sollte auch Obama auf einem raschen Beitritt der Ukraine und Georgiens zum Bündnis bestehen, könnte das die Tauwetter-Politik gegenüber dem Kreml gefährden. Für die Nato, die im April kommenden Jahres ihr Geburtstags-Gipfeltreffen für eine Neuausrichtung nutzen will, geht es um viel: Wohin will der künftige US-Präsident, dem man einen Abschied von der Politik des Säbelrasselns nachsagt, sein Land und in dessen Sog die Allianz führen? Solange die Antwort auf diese Frage aussteht, will den Strategen im Nato-Hauptquartier das Strahlen nicht gelingen.

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