Im Wendland beginnt die "fünfte Jahreszeit"
Hannover. Die Atomkraft-Gegner im Wendland wittern Morgenluft. An diesem Wochenende rollt zum elften Mal ein Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben, und der Protest dagegen soll breiter und vor allem öffentlichkeitswirksamer sein als in den Vorjahren
Hannover. Die Atomkraft-Gegner im Wendland wittern Morgenluft. An diesem Wochenende rollt zum elften Mal ein Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben, und der Protest dagegen soll breiter und vor allem öffentlichkeitswirksamer sein als in den Vorjahren. Es sind die veränderten Rahmenbedingungen, die den Bürgerinitiativen im Landkreis Lüchow-Dannenberg Mut machen: Die Diskussion um längere Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke mobilisiert die eigene Klientel ebenso wie die schlagzeilenträchtige Pannenserie im Versuchs-Endlager Asse bei Wolfenbüttel.Der Protest gegen ein Endlager Gorleben im dortigen Salzstock hat wieder Konjunktur. Das zeigt sich auch daran, dass sich dafür die kompletten Fraktionen von Grünen und Linkspartei im niedersächsischen Landtag sowie grüne Bundesprominenz angekündigt haben, darunter die Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn. Auch die IG Metall mobilisiert landesweit für den Protest. Die prominente Verstärkung für Sitzblockaden und Demonstrationen erhöht die Chance, dass es die Atomkraft-Gegner wieder in die Haupt-Nachrichtensendungen und auf die Titelseiten der Zeitungen schaffen. Im Wendland nennen sie das erste November-Wochenende, wenn allein dort rund 10000 Polizisten dem Castor den Weg bahnen, die "fünfte Jahreszeit" - ein Ausnahmezustand ganz eigener Art. Heute Nachmittag wird der Transport, so vermuten die Atomkraft-Gegner, in Valogne nahe der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague starten. Auf deutscher Seite wird die Strecke von insgesamt gut 16000 Beamten der Länderpolizeien und der Bundespolizei geschützt. Dies gilt vor allem für die letzten Kilometer auf der Schiene zwischen Lüneburg und Dannenberg, die vermutlich am Sonntagabend zurückgelegt werden, und für knapp 20 Straßenkilometer am Montag bis zum Zwischenlager. Elf statt der sonst üblichen zwölf Transportbehälter werden diesmal im Wendland erwartet. Genau genommen ist es gar kein Castor-Transport: Wegen der stärkeren radioaktiven Strahlung der Fracht wird kein deutscher Castor benutzt, sondern ein französischer Behälter vom Typ TN 85. Auf Bundesebene zeichnet sich inzwischen ab, dass die Regierung entgegen der Koalitionsvereinbarung in dieser Legislaturperiode doch keine Weichenstellung mehr schafft, um ein Endlager für hoch radioaktiven Müll zu bestimmen. Damit bleibt es für die rund 50000 Menschen in Lüchow-Dannenberg, dem kleinsten Kreis in Niedersachsen, bei der Hängepartie, die nun schon seit über 30 Jahren andauert. Nur einen Steinwurf entfernt vom Zwischenlager Gorleben, wo bereits 80 Castoren stehen, liegt nämlich das Erkundungsbergwerk Gorleben - ein Salzstock. Genau dieses Wirtsgestein für ein Endlager, in dem der strahlende Müll hunderttausende von Jahren sicher eingeschlossen werden soll, liefert den Kritikern neuerdings ihr stärkstes Argument: Das Versuchs-Endlager Asse, in dem sich die Pannen häufen und Lauge austritt, obwohl Experten genau dies ausgeschlossen hatten, ist ebenfalls ein Salzstock. Flüssigkeitszutritt aber beinhaltet die Gefahr, dass Radioaktivität über das Grundwasser wieder in die Biosphäre gelangt. Deshalb stellen sich die Menschen im Landkreis gegen die Transporte und bezwecken damit vor allem eines: Es soll eine ganz neue, ergebnisoffene Endlager-Suche beginnen. Und Gorleben - das ist in der Region Konsens - scheidet als potenzieller Standort aus.