Saarländisches Staatstheater Euer Privatglück ist unser Geschäftsglück

Saarbrücken · Gelungener Einstand: Bettina Bruiniers ausgeklügelte, zynische Saarbrücker Version von Lessings „Nathan, der Weise“.

 Durch einen angedeuteten Bombentrichter rieselt Goldglitter: Geld als Funkenregen. Im Vordergrund Saladin (Sébastien Jacobi, li.) und der Patriarch (Thorsten Loeb); im Hintergrund, umgeben vom „Chor der Gläubigen“, der Tempelherr (Philipp Seidler) und Barbara Krzoska (Recha).

Durch einen angedeuteten Bombentrichter rieselt Goldglitter: Geld als Funkenregen. Im Vordergrund Saladin (Sébastien Jacobi, li.) und der Patriarch (Thorsten Loeb); im Hintergrund, umgeben vom „Chor der Gläubigen“, der Tempelherr (Philipp Seidler) und Barbara Krzoska (Recha).

Foto: Staatstheater/Martin Kaufhold

Mit der Schlüssel­szene des Abends, in der sich Bettina Bruiniers ausgeklügeltes Regiekonzept verdichtet, entlässt uns die neue SST-Schauspieldirektorin in die Pause. „Kreiern wir neue Idole. Kreiern wir einen neuen Glauben, an dem wir alle gewinnen.“ Mit den Worten offeriert Sultan Saladins Schwester Sittah (Juliane Lang verleiht ihr ungekünstelt die nötige kalte Berechnung) ihrem Bruder sowie Nathan und dem Patriachen einen Deal zu aller Vorteil. Der jedoch Nathans, dem Sultan zuvor voller Hingabe nahegelegte Ringparabel konterkariert – und damit den Kern von Lessings Aufklärungsstück zweckentfremdet. Toleranz ist für Sittah nur (Verkaufs-)Hülle, nicht Kern des Handelns; eher ökonomische Strategie denn ethisches Ideal.

Schon Lessings Textvorlage lebt von einem Geflecht aus Abhängigkeitsverhältnissen, das Berechnung und Verstellung begünstigt. Da ist der jüdische Geldverleiher Nathan, der – Hiob gleich – Frau und Kinder bei einem Pogrom verlor und später das Findelkind Reha großzog: ein Rationalist und Geschäftsmann mit Herz und Kalkül. Gregor Trakis arbeitet die Doppelbödigkeit Nathans glänzend heraus (und meistert mit Bravour auch Bruiniers heiklen Regieeinfall, ihm zeitweilig eine alle Klischees bedienende „Judenmaske“ aufzusetzen). Innerlich zerrissen ist auch der Tempelritter, der die erwachsene Reha aus den Flammen von Nathans Haus rettet. Erst lehnt er dessen Dank aus antisemitischen Gründen ab, um sich dann in Nathans Ziehtochter zu verlieben. Barbara Krzoska und Philipp Seidler machen aus dem jugendlichen Liebespaar einen (eine Spur zu absehbaren) Romeo & Julia-Verschnitt – ahnungslos im Hinblick auf ihre wahre Identität wie auf den Handel, dessen Opfer sie werden. „Was braucht man bei den Schwachen für Gewalt als ihre Schwäche?“, bringt es die größte Falschspielerin, Sittah, auf den Punkt.

Während Lessing in seinem klug gebauten Stück die Repräsentanten dreier Weltreligionen zuletzt in Gestalt der zwei Liebenden vereint und seine leitmotivische Ringparabel so quasi familiär einlöst, entpuppt sich diese märchenhafte Fügung bei Bettina Bruinier als bloße Inszenierung: Die zu Bruder und Schwester Erklärten gaukeln uns nur eine Aussöhnung vor. Damit kein kultureller Dissenz den Fluss des Warenverkehrs staut.

Der Saarbrücker „Nathan“, im Großen Haus am Samstag auf die Bühne gebracht, verlangt ob der Komplexität von Textvorlage wie Inszenierung idealerweise genaue Textkenntnis. Und hat zudem damit zu kämpfen, dass – trotz Headsets der Akteure – die Dialoge bisweilen akustisch unscharf rüberkommen. Unterm Strich aber gelingen Bruinier, ihrem Dramaturgen Horst Busch und dem bis in die Nebenrollen teils hochklassigen Ensemble ein bemerkenswerter Einstand. Darunter zwei alte Bekannte: Ali Berber glänzt in einer furiosen, Selbstzweifel mit Gemeinheit mischenden Doppelrolle als Derwisch/Klosterbruder, während Gabriela Krestan als Rechas Gesellschafterin Daja hysterischen Furor mit kalkuliertem Egoismus paart.

Derart vielschichtig ist dieser Abend auf den zweiten Blick, dass alle Verästelungen sich kaum erfassen lassen. Was die Frage aufwirft, ob Bruinier nicht zu viel gewollt hat. Ihr roter Faden aber ist erkennbar: Dass Lessings zur Zeit der Kreuzzüge spielendes Setting partiell ins Heute überführt wird (Anzüge und Pullover dominieren schon Cornelia Kraskes Kostüme), dafür sorgt nicht alleine das Einziehen einer neuen Text­ebene. Für diese bediente sich die Regie beim britischen Dramatiker Mark Ravenhill. Und lässt  einen Wutbürger ihre Nathan-Inszenierung kurzzeitig sprengen – ein Spiel im Spiel nur. Thorsten Loeb verleiht ihm fast diabolische Bühnenpräsenz und markiert später auch in wortlosem Spiel den intriganten Patriarchen. Ein Publikumsverführer ist dieser Glatzkopf, der uns in einer perfiden, rassistisch angehauchten Diktion aufhetzen will gegen vermeintliche Demokratiefeinde, die in Saarbrücken einen Terroranschlag verübten. Um dann Rache zu fordern für einen dabei angeblich getöteten Theaterkollegen. Auf dass „die beschissene Staatsgewalt da draußen auf dem Schillerplatz“ aufmarschiert, um zurückzuschlagen.

Es bleibt dies nicht das einzige Säbelrasseln. Immer wieder sind auf der Bühne Sperrfeuer und Explosionen zu hören. Nein, das klingt alles nicht nach einem beschaulichen Lagerfeuer, an dem Toleranz unsere Seelen wärmt. Der Grund dafür rieselt unentwegt durch einen angedeuteten Bombentrichter auf die nur mit riesigen, zu Blöcken gestapelten, Umzugskisten bestückte Bühne nieder  (als Warenumschlagplatz eingerichtet von Mareile Krettek): Goldglitter, der schnöde Mammon, ist fast aller Begehr. Er gibt Macht – und Freiheit. Und so haben nach der Pause die vier Strippenzieher Nathan, Saladin (bei Bruinier seltsamerweise zu einer blassen, allenfalls Zynismus versprühenden Nebenfigur heruntergedimmt: Sébastien Jacobi), Sittah und der Patriarch ihre Allianz geschmiedet. Und überblicken von einer erhöhten, zweiten Bühnenebene aus, wie sich unten die Dinge in ihrem Sinne fügen. Auf fast gespenstische Weise, wofür auch David Rimsky-Korsakows eingespielte Soundcollagen sorgen.

Zuletzt wirkt Nathan bei Bruinier wie ein Gescheiterter. Wie einer, der sich verkalkuliert hat. Saladin, der mehr von seiner angestammten Führungsrolle denn von seinem aufgezehrten Vermögen lebt, schickt ihn davon. Er meint, ohne Nathans Kredite auszukommen. In einem Epilog lässt Bruinier dem Patriarchen das letzte Wort. Er macht uns klar, dass Regierende und Regierte heute Lebensformen und Werte kapitalisieren: Euch das Privatglück, uns das Geschäftsglück. Wobei der Abend nahelegt, dass wir keinen guten Schnitt machen. Eher Marionetten gleichen. Wie der ins Stück eingebaute „Chor der Gläubigen“, der in einer sinnfälligen Szene gliederpuppengleich reihenweise umfällt.

Als sei das Publikum wie erschlagen von all den ausgelegten Fährten, hielt sich der Applaus in Grenzen. Mag sein, dass er mit Abstand größer ausfiele. Verdient wäre es.

Nächste Vorstellungen am 22., 27., 29 September. Karten gibt es unter
Tel. (06 81) 30 92 486.

 Szene mit Gregor Trakis (in der Titelrolle des Nathans, li.) und  Ali Berber (hier als Derwisch, später auch als Klosterbruder mit blonder Perücke).

Szene mit Gregor Trakis (in der Titelrolle des Nathans, li.) und  Ali Berber (hier als Derwisch, später auch als Klosterbruder mit blonder Perücke).

Foto: Staatstheater/Martin Kaufhold
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