Die Rückkehr der gegerbten Urwesen

Berlin · 49 Jahre nach ihrem legendären, in Krawallen endenden Auftritt in der Berliner Waldbühne kehrten die Rolling Stones am Dienstag an den Ort des Geschehens zurück – und begeisterten 22 000 Zuschauer.

Einige Fans versuchten, über den Zaun zu klettern. Einigen bekam die Hitze nicht, schon gar nicht die Kombination von praller Sonne und Bier. Viel mehr Vorfälle musste die Polizei am Dienstagabend beim Konzert der Rolling Stones in der Berliner Waldbühne nicht zu Protokoll nehmen. Vor 49 Jahren war das anders: Damals spielten die Stones zum ersten Mal hier. Das Publikum war im Schnitt 30 Jahre jünger als 2014, die Stimmung aufgeheizt. Von der Presse waren Mick Jagger und Co. vor dem Konzert zu Brandbeschleunigern für den Untergang des Abendlandes stilisiert worden. Nach nur 20 Minuten Konzert gab es kein Halten mehr: Die ehemalige "Ting-Stätte" der Nazis wurde in Schutt und Asche gelegt und war über Jahre hinweg nicht mehr zu gebrauchen. Es war der Vorabend der Revolution; welche Rolle die Musik für den Aufbruch der 68er gespielt hat, lässt sich an dieser Entladung von Energie, Anarchismus und Wut gut nachvollziehen.

Einige, die 1965 in die Schlacht gezogen waren, mögen auch 2014 - ergraut und längst durch alle Institutionen marschiert - dabei gewesen sein, und Keith Richards dürfte bei seiner Begrüßung manchem aus dem Herzen gesprochen haben: Es sei ein Vergnügen, hier zu sein, sagte er mit vom Bier schwerer Zunge. Es sei ein Vergnügen, überhaupt noch irgendwo zu sein.

Doch man sollte sich von der gegerbten Verlebtheit des Gitarristen nicht täuschen lassen - er schrammelt die berühmten Riffs von "Gimme Shelter" oder "Jumpin' Jack Flash" instinktiv, das Image des exzessiven Rock'n'Rollers ist auch Produkt einer gelungenen Vermarktungs-Arbeit. Neben dem Charme- und Vitalbolzen Mick Jagger, der seine rudimentären Deutschkenntnisse in den Ansagen zum Besten gab, wirkt Richards wie ein zerknautschtes Urwesen aus den Sümpfen des Mississippi-Deltas. Über zwei Stunden hüpft und tänzelt der 70-jährige Jagger über die Bühne. Charlie Watts gibt dazu den Blues-Takt vor - jahrzehntelang derselbe Beat, schrieb Diedrich Diederichsen einmal. Da fange irgendwann der Hospitalismus an.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das Konzert ist wider Erwarten großartig; und das nicht im Sinne einer glatt-kalkulierten Unterhaltungsshow (was es natürlich auch ist). Perfekt ist vielmehr die spielerische Wucht, die gar nicht altmännerhafte Virilität, die in diesen eigentlich zu Tode gespielten Stücken steckt. Verwirrend ist die Nonchalance, mit der die Stones ihre eigene Geschichte vor sich hertragen, ohne melancholisch zu werden. Man kann sich immer wieder, wenn man den alten sieht, für Momente den jungen Mick Jagger vorstellen. Erstaunlich, dass eine Band die Gesetze von Zeit und Raum außer Kraft zu setzen vermag. Seit 1962 hat sich bei den Stones musikalisch nicht viel getan. Man eifert noch immer den verehrten schwarzen Bluesmusikern nach. Am deutlichsten wird das bei "Midnight Rambler", zu dem sich der Kurzzeit-Stone Mick Taylor dazu gesellt. Über zehn Minuten vergnügen sich Richards, Taylor und Ron Wood an der Nummer, pressen den letzten Saft aus ihr heraus, weiden sich an ihren kreischenden Gitarren, während Jagger die Mundharmonika auf schönste Weise traktiert.

Nostalgie kommt nur bei den Fans auf; auf der Bühne herrscht das Jetzt. Mit einem Feuerwerk zu "Satisfaction", wird man in die glühendheiße Berliner Nacht entlassen.

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