Wer sitzt am Gen-Hebel?

Saarbrücken. Als sich die Wissenschaft 1990 mit großem Aufwand daran machte, im Rahmen des Humangenom-Projekts sämtliche Gene des Menschen zu entschlüsseln und somit die Geheimnisse des Erbguts aufzudecken, brach eine Zeit der Heilsversprechen an. Die Forscher ließen uns glauben, in Kürze fast alle Krankheiten besiegen und problematische Verhaltensweisen korrigieren zu können

Saarbrücken. Als sich die Wissenschaft 1990 mit großem Aufwand daran machte, im Rahmen des Humangenom-Projekts sämtliche Gene des Menschen zu entschlüsseln und somit die Geheimnisse des Erbguts aufzudecken, brach eine Zeit der Heilsversprechen an. Die Forscher ließen uns glauben, in Kürze fast alle Krankheiten besiegen und problematische Verhaltensweisen korrigieren zu können. Fast jeden Tag wurde eine neue Entdeckung präsentiert: das Alkoholismus-Gen, das Depressions-Gen, das Gewalttätigkeits-Gen. 2003 wurde das Projekt für abgeschlossen erklärt, doch die Forscher konnten ihre Versprechen nicht halten.

So weiß man heute, dass der Mensch nur rund 19 000 statt der ursprünglich vermuteten 140 000 Gene hat. Diese Gene enthalten die Baupläne für die Eiweiße (Proteine), aus denen die etwa 200 Zelltypen unseres Körpers aufgebaut werden. Jede Körperzelle verfügt über einen kompletten Bauplan. Doch nicht alle Gene sind in jeder Zelle zu jeder Zeit aktiv. Wer aber schaltet Gene ein und aus?

Mit dieser Frage befasst sich der Wissenschaftspublizist Bernhard Kegel in seinem Buch "Epigenetik - Wie Erfahrungen vererbt werden". Der Untertitel verweist auf eines der spannendsten Forschungsfelder der heutigen Zeit. Denn es häufen sich die Hinweise, dass Umwelteinflüsse unser Erbgut beeinflussen und dadurch verursachte Veränderungen vererbt werden können. Noch sind die Beweise dünn. Doch eine schwedische Studie kam zu dem Ergebnis, dass Großväter, die im Alter von neun bis zwölf Jahren stets reichlich gegessen und sich eine Fettschicht angefuttert haben, das Leben ihrer Enkel um viele Jahre verkürzen. Die Nachkommen starben vermehrt an Diabetes. Eine englische Studie führte den Nachweis, dass Väter, die schon mit elf oder früher zur Zigarette gegriffen hatten, überdurchschnittlich oft stark übergewichtige Söhne haben. Die genauen Zusammenhänge sind noch nicht geklärt.

Tierversuche haben allerdings gezeigt, dass die Art der Nahrung Einfluss darauf hat, ob an der DNA, in der die Gene stecken, Moleküle andocken. DNA-Abschnitte, die durch bestimmte angehängte Moleküle markiert sind, werden bei einer Zellteilung nicht mitkopiert. Damit wird verhindert, dass zumindest ein Teil der im Erbmolekül vorhandenen endogenen Viren bei der Zellteilung mitkopiert werden. Ergebnisse australischer Forscher deuten darauf hin, dass eine spezielle Nahrung den Aufbau neuer Molekülanhängsel fördern, dadurch bestimmte Gene stummschalten und einer Zellschädigung vorbeugen kann. Doch viele dieser epigenetischen Markierungen kommen und gehen einfach per Zufall.

Diese komplizierten Zusammenhänge beschreibt Kegel meisterhaft. So berichtet er von springende Genen, so genannten Transposons, die sich in unserer DNA als quasi-parasitische Elemente herumtreiben. Sie vermehren sich selbst, lassen sich bei jeder Zellteilung mitkopieren und wechseln zudem weitgehend zufällig ihre Position. Diese springenden Gene waren und sind eine wichtige Ursache für Gen-Veränderungen. Heute gehen zwei von 1000 neuen Erbgutänderungen des Menschen auf ihr Konto - ein Grund für die Vielfalt des Lebens. Die Forschung an Zwillingen, die genetisch identisch sind, hat gezeigt, dass der Ausbruch einer Krankheit (etwa Alzheimer, MS, Schizophrenie, Arthritis) bei einem Zwilling auf unterschiedliche epigenetische Veränderungen zurückzuführen ist.

Denn der epigenetische Anhang der DNA wird bei der Zellteilung häufig mitkopiert. Bei der Kopie treten viel häufiger Fehler auf als bei der Kopie der Gene selbst. Das führt im Laufe eines Lebens zu größeren Veränderungen als der Einfluss der Umwelt. Wie groß der Einfluss der Umwelt dabei ist, kann derzeit aber noch niemand sagen.

Bernhard Kegel: Epigenetik - Wie Erfahrungen vererbt werden. Dumont, 367 S., 19,95 €

Am Sonntag (6.12.) stellt Bernhard Kegel sein Buch bei "Fragen an den Autor" (ab 11.04 Uhr auf SR2 KulturRadio) vor.

Diese und weitere Buch-Empfehlungen versandkostenfrei bestellen: www.saarbruecker-zeitung.

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