Ein Jubiläum am Abgrund

Bremen · Im 100. Nordderby der Fußball-Bundesliga an diesem Samstag geht es für Werder Bremen und den Hamburger SV darum, aus der prestigeprächtigen Paarung Zuversicht für den Abstiegskampf zu saugen.

Früher war alles besser? Stimmt nicht. Niemals ist man auf der A 1 zwischen Bremen und Hamburg, gerne Hansalinie genannt, besser vorangekommen. Fast durchgängig dreispurig ausgebaut, endlich perfekt betoniert. Es gab hier ganz andere Zeiten. Etwa im Frühjahr 2009, als die Strecke einer 100 Kilometer langen Baustelle glich. Mit Engpässen, Schleichtempo und Dauerstaus. Und das mitten in der fußballerischen Hochphase der Hansestädte, die wegen ihrer sportlichen Stärke und der glücklichen Spielplanfügung im April vor fünf Jahren binnen 19 Tagen vier Mal aufeinander trafen. Zwei Mal im damaligen Uefa-Cup, ein Mal im DFB-Pokal, ein Mal in der Liga. Es ging um Titel und Trophäen und die Champions-League-Teilnahme. Verdammt lang her.

"Ziemlich beste Rivalen"

Die Gemengelage vor der 100. Auflage des Nordderbys an diesem Samstag (15.30 Uhr) hat sich genauso verändert wie die Protagonisten. "Ich nehme alles wahr, was an mich zum Derby herangetragen wird", erklärt der bekennende Schwabe Robin Dutt. "Mit einem Dreier ist die Welt für Bremen in Ordnung", ergänzt der gebürtige Freiburger Thomas Eichin. Werders sportliche Leitung hat ebenso wenig Bremer Wurzeln wie die HSV-Führung einen Hamburger Hintergrund.

"Mit einem Sieg können wir ein Krümelchen an Motivation draufpacken", beteuert der gebürtige Hildesheimer Mirko Slomka. An der Seite des HSV-Trainers geht der in Mannheim geborene und mit Karlsruhe verwachsene Manager Oliver Kreuzer das Nachbarschaftsduell am Abgrund an. Darin sind sich alle Zugereisten einig: Für die Stimmungslage am jeweiligen Standort wird das Jubiläum wegweisend sein.

Doch so sehr sich die Talfahrt der "ziemlich besten Rivalen" ("Weser-Kurier") ähnelt, so unterschiedlich sind deren Ausprägungen. Krise an der Elbe geht immer noch anders als an der Weser. In Hamburg ist es immer viel lauter und aufgeregter, hier hat der Austausch handelnder Personen schon Methode, während es in Bremen leiser und beschaulicher zugeht - dort ist es Marotte, den Verantwortlichen den Rücken zu stärken. In den vergangenen zehn Jahren hat der HSV 13 Trainer und vier Sportchefs verschlissen, bei Werder waren es in jeder Kategorie zwei.

Allein der Ligaverbleib zählt

Zur Entstehung der Rivalität der Clubs kann Dieter Matz einiges erzählen, dessen Blog "Matz ab" beim "Hamburger Abendblatt" Kultstatus erreicht hat. Er erlebte als Neunjähriger mit, wie der HSV am alten Rothenbaum im August 1959 den SV Werder mit 9:1 auseinander nahm. So hoch wie nie zuvor. Und nie danach. "Nach 1963 hat der Kleine sozusagen aufgemuckt", erzählt Matz. Zwei Jahre nach Bundesliga-Gründung gewann Werder bereits die Meisterschaft und auch wenn sich 1983, gleich nach dem einzigen Bremer Bundesliga-Abstieg 1980, der Hamburger SV zur Nummer eins Europas aufschwang, so ließ das "Dorf mit der Straßenbahn" (Hamburger über Bremer) nicht locker. Unter der Dynastie Otto Rehhagel legte Werder den Grundstein dafür, den HSV in Sachen Sympathiewerte zu überholen. Seit Ende der 80er Jahre gewannen die Grün-Weißen immerhin neun Titel, die Rothosen hingegen nur noch einen. Und was sagten daraufhin die Bremer über die Hamburger? "Hamburg ist das Tor zur Welt. Aber Bremen hat den Schlüssel dazu."

Gleichwohl regiert längst in beiden Hansestädten jahrelange Ernüchterung. Während das HSV-Konstrukt den Preis für jahrelanges Missmanagement bezahlt hat, war das Werder-Gebilde sportlich größer geworden, als es wirtschaftlich sein konnte. Die Ursachen für den Abschwung mögen anders sein, die Auswirkungen sind dieselben. Niemand kann sich realistisch vorstellen, dass die Clubs in den kommenden Jahren den Anschluss nach oben schaffen. Bremen fehlen die finanziellen Mittel und neue Ideen, Hamburg drücken immense Schulden und plagen strukturelle Probleme. Bayern und Dortmund sind Lichtjahre weg, Schalke, Leverkusen, Wolfsburg meilenweit, Mönchengladbach und vielleicht sogar Mainz ein Stück. In der norddeutschen Tiefebene geht es allein um den Ligaverbleib.

Zum Thema:

Auf einen BlickDer Hamburger SV kann im Nordderby bei Werder Bremen an diesem Samstag auf Pierre-Michel Lasogga zählen. "Alles ist gut", sagte der von Rückenschmerzen geplagte Stürmer am Freitag. Dagegen droht HSV-Kapitän Rafael van der Vaart, der seinen Bänderriss auskuriert hat und wieder im Kader steht, in dem Prestigeduell zunächst die Ersatzbank. dpa/sid

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