Der Kick und die Zukunft

Durban. Als Knirps bewunderte Joachim Löw bei der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko Uwe Seeler und Gerd Müller am Fernseher. Jetzt steht er selbst auf der größten Fußball-Bühne

Durban. Als Knirps bewunderte Joachim Löw bei der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko Uwe Seeler und Gerd Müller am Fernseher. Jetzt steht er selbst auf der größten Fußball-Bühne. "Ich freue mich, dass ich mittendrin bin bei so einem Weltereignis", sagte der 50-Jährige vorm Auftaktspiel der deutschen Nationalelf gegen Australien gestern Abend (bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht beendet): "Die großen Wettkämpfe geben mir den Kick. Ich liebe die Turniere, die Alles-oder-Nichts-Spiele, wo es um unheimlich viel geht."

Auf 50 Länderspiele kann Löw nach der Partie zurückblicken. Womöglich kommen nicht mehr viele hinzu. Der Abpfiff für Deutschland bei der WM könnte das Ende der Ära Löw beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) sein. Nach der unter Getöse und internen Verwerfungen gescheiterten Vertragsverlängerung zu Jahresbeginn ist eine Scheidung vom DFB vorstellbar. Löw sagte: "Wir werden uns zeitnah zusammensetzen nach dem Turnier und analysieren, was geschafft worden ist und wie man weitermachen möchte." Er erklärt, dass sein Job ihm mehr Freude als Ärger bereitet - gerade jetzt, da er sich rund um die Uhr auf seine Arbeit mit der Mannschaft konzentrieren kann. Ein Arbeitstag in Südafrika hat für ihn 16 Stunden, angefangen vom Aufstehen um 8 Uhr über Training und Sitzungen mit dem Trainerstab, Spielern und Manager Oliver Bierhoff, der seit 2004 an seiner Seite ist.

Ob das System Löw auch ohne Bierhoff funktionieren könnte? Beobachter geben dem Manager über die WM hinaus keine Zukunft im Verband.  Löw dagegen streicht die "hohe Verantwortung" heraus, die er mit Bierhoff für das große Ganze trägt: "Alleine würde das nicht funktionieren." Bierhoff sagte, angesprochen auf seine offene Zukunft: "Vielleicht brauchen wir nach der WM gar nicht zu diskutieren." Es könne sein, dass es kein Angebot des DFB gebe, bemerkte der 42-Jährige.

Die Verknüpfung Löw/Bierhoff muss kein Automatismus sein. Löw übt seinen Job gerne aus, auch wenn es immer wieder "schwierige Phasen" zu bestehen gebe, "in denen man das Gefühl hat, alle wissen die Dinge besser als der Bundestrainer selbst". Am wohlsten fühlt er sich vor und während eines Turniers, wenn er seine Rolle als Fußball-Lehrer ausleben kann: "Weniger Spaß macht es, wenn man nur zwei Tage Vorbereitung hat auf ein Spiel."

Kein Wandel nach der WM

Ein Erfolg mit der zweitjüngsten deutschen Mannschaft bei einer WM würde ihn in eine prima Verhandlungsposition befördern. Und Löw sagte, er "sehe diese Mannschaft für noch mehr entwicklungsfähig an als die von 2006 und 2008". Bis auf zwei, drei Spieler wie Torwart Jörg Butt, 36, und Stürmer Miroslav Klose, 32, sei sie "in der Lage, noch über längere Zeit zu spielen". Einen Wandel müsse nach der WM nicht vollzogen werden.

Beim Rückblick auf seine 50 Länderspiele und die zwei Jahre davor als Assistent von Jürgen Klinsmann erinnert Löw nur an die schönen Momente. Niederlagen wie 2008 im EM-Finale gegen Spanien (0:1) blendet er aus. "Ich erinnere mich an das Elfmeterschießen gegen Argentinien bei der WM 2006, an die Spiele bei der EM vor zwei Jahren.  Der Sieg gegen Portugal war ein Klassespiel. Auch die zwei Siege in der WM-Qualifikation gegen Russland sind haften geblieben. Vor 80 000 Zuschauern in Moskau zu bestehen, das macht den Fußball aus." Ähnlich große Stunden möchte Joachim Löw in Südafrika erleben - und es wird für ihn alles ganz anders sein als vor 40 Jahren als kleiner Bub: "Als Zehnjähriger hat man die ganze Dimension so einer Weltmeisterschaft weniger realisiert."

Auf einen Blick

Gelassen und selbstbewusst wirkte Manuel Neuer vor der gestrigen Partie gegen Australien (bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht beendet). Doch ein Kribbeln mochte die deutsche Nummer eins nicht verhehlen. "Ein Abschlusstraining ist schon was anderes als ein normales Training. Man ist ein wenig aufgeregt und angespannt", sagte der 24 Jahre alte Schalker in Durban: "Die ganze Zeit waren wir an einem anderen Ort, dann fliegt man hierher und trainiert erstmals im WM-Stadion. Da merkt man, dass der Countdown angefangen hat." Der Torwart weiß, dass der Erfolg der deutschen Elf wesentlich von ihm abhängig sein wird. Damit hat er kein Problem. Der Glaube an die eigene Stärke ist groß, auch wenn er erst fünf Länderspiele absolviert hat: "Ich habe ein gesundes Selbstbewusstsein und weiß, dass ich meinen Mann stehen werde." Auf den defensiv gut organisierten Gegner und die zu erwartenden Konter der Australier sei man gut eingestellt. Der Lärm der Vuvuzelas bringt Neuer nicht aus der Ruhe. Sein Rezept, falls die Vorderleute ihn nicht hören können: "Ich weiß zwar nicht, wie laut es wird. Aber am besten wäre da wohl blindes Verständnis." dpa

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