Die Klima-Kolumne Der warme Herbst macht Angst – denn er stellt alles in Frage

Meinung · Früher konnte man sich auf die Jahreszeiten verlassen. Doch jetzt? Jetzt ist die Welt aus den Fugen geraten. Und alles, was wir zu wissen glaubten, gleich mit.

Ein Herbst mit sommerlichen Temperaturen. Schön, finden die einen. Beängstigend, sagen dagegen andere.

Ein Herbst mit sommerlichen Temperaturen. Schön, finden die einen. Beängstigend, sagen dagegen andere.

Foto: dpa/Christoph Schmidt

Was war das schön letztes Wochenende auf der Terrasse in der Mittagssonne. Über 20 Grad, herrlich! Und der Ausblick erst: Der braune Dürresommer war im Garten meines Elternhauses einem grünen Herbst gewichen.

Mein Onkel wollte nur kurz vorbeischauen, wie man das halt so macht. Doch jetzt steht er da und beäugt den Rasen argwöhnisch. „Du mähst doch noch einmal vorm Winter?“ fragt er meine Mutter. „Jetzt noch?“ wehrt sie ab. „Wann hat man Anfang November je gemäht?“

Ja, wann? Mein Onkel schweigt. Ich auch, von Gartenarbeit verstehe ich ja nicht viel. Meine Mutter dagegen! Die bringt jedes Pflänzchen zum Sprießen, weiß genau, was wann wo hingehört, damit es an- und aufgeht. Normalerweise. Doch jetzt? Ich sehe, wie sich eine tiefe Falte auf ihrer Stirn bildet, während sie unsicher das Gras betrachtet. Die frischen Halme glänzen saftig grün wie sonst nur im Frühling, hoch stehen sie ebenfalls, viel höher als angemessen für diese Jahreszeit, dazwischen spitzt ein Gänseblümchen, fünf oder sechs Monate zu früh.

Meine Großeltern haben natürlich auch schon einen Garten bewirtschaftet, was meine Mutter von ihnen nicht gelernt hat, brachte sie sich selbst bei. Ein Garten – der hat wenig mit der rohen, wilden, manchmal grausamen Natur zu tun. Gärtnern ist eine wichtige Kulturtechnik, das kleine Geschwisterchen der Landwirtschaft, die sich auf einen jahrhundertealten Erfahrungsschatz stützt, der wiederum in leicht zu merkende Bauernregeln gegossen wurde. Menschliche Errungenschaften – in ein Museum müsste man sie hängen, wenn sie dafür nicht zu kostbar wären.

Oder waren. Doch jetzt? Verlieren sie rapide an Wert, weil durch den menschengemachten Klimawandel alles aus den Fugen gerät. 20 Grad um diese Jahreszeit und Gänseblümchen sind ja eine Sache. Aber eine Mutter, durch deren Hege und Wissen ein Garten jahrzehntelang zuverlässig gedieh – die jetzt aber ratlos ist, ob sie unter diesen Bedingungen den Rasen mähen soll oder nicht? Die Beobachtung mag manchen banal vorkommen. Für mich ist sie absolut furchterregend.

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