Lebensmittelverschwendung Die Welt im Wegwerf-Wahn

Saarbrücken · Mit einer Aktionswoche will das saarländische Umweltministerium der Lebensmittelverschwendung den Kampf ansagen.

 Jeder Deutsche schmeißt laut einer Studie des Bundesverbraucherschutzministeriums pro Jahr Lebensmittel im Wert von 235 Euro weg. Knapp zwei Drittel davon wären noch essbar.

Jeder Deutsche schmeißt laut einer Studie des Bundesverbraucherschutzministeriums pro Jahr Lebensmittel im Wert von 235 Euro weg. Knapp zwei Drittel davon wären noch essbar.

Foto: dpa/Patrick Pleul

18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen nach Berechnungen der Umweltorganisation WWF in Deutschland jedes Jahr im Müll: weil das Gemüse zu klein oder krumm geraten ist, weil beim Quark das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, weil man den Wocheneinkauf nicht richtig geplant hat. Erzeuger, Händler, Verbraucher – jeder trägt sein Schippchen zu dieser Lebensmittelverschwendung bei. „Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen werden“, sagt der saarländische Umweltminister Reinhold Jost (SPD). Deshalb hat das Umweltministerium zahlreiche Akteure an einen Tisch geholt: Händler wie Globus und Rewe, Verbände wie die Industrie- und Handelskammer und die Verbraucherzentrale, aber auch Hersteller wie Ludwig Schokolade und private Initiativen wie „Food­sharing“ in Saarbrücken. Gemeinsam wollen sie eine Aktionswoche vom 16. bis 21. April 2018 planen, mit der vor allem die Verbraucher wachgerüttelt werden sollen.

In einem Punkt ist man sich schnell einig: Lebensmittel werden nicht wertgeschätzt. „Sie sind einfach zu billig“, sagt Harald Kreutzer vom Verein „Weltveränderer“. Weit verbreitet sei die Einstellung: Was günstig ist, kann nicht viel wert sein – und wird bedenkenlos weggeworfen. Dass hinter jedem einzelnen Apfel, Brot oder Jogurt ein langer, aufwändiger Prozess steht, sehe man meist nicht. Der selbständige Rewe-Einzelhändler Marc Adams teilt diese Meinung. Doch als Einzelner die Preise anheben? Adams schüttelt den Kopf: „Der ganze Handel müsste mitziehen.“ Die Konkurrenz sei groß, gerade im Saarland, wo die Einzelhandelsdichte sehr hoch sei. Adams setzt jetzt verstärkt auf regionale Produkte, um sich dem Preisdruck ein Stück weit zu entziehen. Die seien zwar etwas teurer, aber die Kunden wüssten es zu schätzen.

Auch der Trend zu XXL-Packungen in Supermärkten und „All you can eat“-Angeboten führt dazu, dass immer mehr weggeschmissen wird. „Es gibt diese Erwartungshaltung bei den Menschen, für ihr Geld möglichst viel zu bekommen“, sagt Frank Hohrath vom Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. Und weil am Ende eben doch nicht alles gegessen wird, landet vieles im Müll. Wenn Restaurants die Reste verschenken, begeben sie sich auf dünnes Eis. Verdirbt sich jemand den Magen, könnte er Schadenersatz fordern. Auch wenn Supermärkte ihr Gemüse an Zoos abgeben möchten, ist das nicht einfach: Sie müssen sich erst einmal aufwändig dafür zertifizieren.

Dass der Handel den Erzeugern nur makellose Ware abkauft, verschärft das Problem. 20 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte landeten gar nicht erst im Laden, sagt Hans Lauer vom Bauernverband Saar. Sie würden untergepflügt oder an Tiere verfüttert. Und das obwohl „der Salat mit Hagelschaden ja nicht schlechter ist, nur weil er Löcher hat“, sagt Lauer.

Es wird auch deutlich, dass der Kampf gegen die Verschwendung alles andere als einfach ist, weil jedes Schräubchen, an dem man dreht, weitreichende Auswirkungen hat. Würde zum Beispiel weniger Fleisch produziert, hätte das auch Folgen für die saarländischen Landwirte. Denn 50 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche im Saarland seien Grünfläche, sagt Lauer, also Wiesen und Weiden, die etwa zur Futtermittelherstellung genutzt werden. Und was wäre, wenn die Preise tatsächlich stiegen? Würden dann Menschen, die in Armut leben, nicht abgehängt? Schon heute gibt es viele, für die Lebensmittelverschwendung ein Luxusproblem ist. „Sie machen sich eher Sorgen darüber, was sie morgen auf dem Tisch haben“, sagt wie Frank Paqué von der Merziger Tafel.

Das Ganze ist so komplex, dass man sich fragen muss, ob ein grundlegender Wandel überhaupt möglich ist. Ist die Aktionswoche also nur ein Feigenblatt, mit dem sich das Umweltministerium den Anstrich geben will, etwas zu tun? Oder doch ein Tropfen, der stetig den Stein höhlt? Alle sind überzeugt, dass es ein kleiner, aber wichtiger Schritt ist. Doch gerade die privaten Initiativen betonen, wenn es eine einmalige Sache bleibe, machten sie nicht mit. Die Aktionswoche müsse in eine langfristige Politik münden, vielleicht sogar ganz konkret in eine Bundesratsinitiative des Saarlands.

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