"Azubis können Erlerntes oft nicht umsetzen"

Wie bewerten Sie die Struktur der Ausbildung in der Gesundheits- und Krankheitspflege?Meyer: Obwohl es eine bundeseinheitliche Ausbildungsverordnung gibt, gibt es ein großes Qualitätsgefälle in der Ausbildung. Die Krankenpflegeschulen sind als sogenannte "Schulen der besonderen Art" an Kliniken angegliedert, betriebliche Interessen stehen häufig über Ausbildungsbelangen

Wie bewerten Sie die Struktur der Ausbildung in der Gesundheits- und Krankheitspflege?

Meyer: Obwohl es eine bundeseinheitliche Ausbildungsverordnung gibt, gibt es ein großes Qualitätsgefälle in der Ausbildung. Die Krankenpflegeschulen sind als sogenannte "Schulen der besonderen Art" an Kliniken angegliedert, betriebliche Interessen stehen häufig über Ausbildungsbelangen. Auszubildende können Erlerntes oft nicht so in der Praxis umsetzen, wie sie es in der Theorie gelernt haben. Kernproblem ist, dass die Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung von der modernen Berufsbildungsdebatte weitgehend abgekoppelt ist.

Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen?

Meyer: Diese "Schulen der besonderen Art" müssten von den Kliniken losgelöst und könnten ins berufliche Bildungssystem als Berufsfachschulen integriert werden. Mit Lehrern, die ein Lehramtsstudium durchlaufen haben und einer Vereinheitlichung und Standardisierung von Ausbildungsplänen, um Bildungsqualität vergleichen zu können. Dies geht natürlich nicht mit einem einfachen Federstrich, weil da sehr viele rechtliche sowie Krankenhausfinanzierungsfragen zu diskutieren sind. Die Krankenkassen finanzieren die Pflegeausbildung über die Beiträge ihrer Versicherten. Das ist das größte Problem. Wir wünschen uns einen modernen Pflegeberuf, mit einer breiten Berufs- und Beschäftigungsfähigkeit, anstatt primär die Berufstätigkeit zu qualifizieren für den Praxisort "Station".

Medizintechnische Fortschritte haben die Pflege verändert - was heißt das für die Ausbildung?

Meyer: Das gesamte Berufsfeld hat sich verändert, die Aufgaben sind komplexer geworden. Die Bundesregierung will die Pflegeberufe reformieren, wir warten auf das neue Pflegeberufegesetz. Empfohlen wird eine generalistische Pflegeausbildung, die alle Lebensalter umfasst. Diesen Ansatz verfolgen wir auch an der HTW in unserem Pflegestudiengang. Unsere Absolventen haben neben dem Bachelor nach vier Jahren drei Berufszulassungen: Gesundheits- und Krankenpfleger, Kinderkrankenpfleger und Altenpfleger. Kommt etwa ein Demenzkranker mit einem Herzinfarkt vom Pflegeheim in die Klinik, ist das Personal bisher nicht im Umgang mit der Demenz ausgebildet.

Was halten Sie vom Vorschlag der EU-Kommission, dass Pflegefachkräfte in Deutschland Abitur brauchen?

Meyer: Es ist von zwölfjähriger Schulbildung die Rede. Bereits heute hat die Hälfte der Bewerber für Gesundheits- und Pflegeberufe eine Hochschulberechtigung. Die Anforderungen an den Beruf sind gestiegen. Wir müssen uns überlegen, welchen Qualifikationsmix wir benötigen; da braucht es Abiturienten, die ein Pflegestudium belegen. Ich kann nicht auf der einen Seite die Zugangsvoraussetzungen wie zum Beispiel in der Altenpflegeausbildung herunterschrauben und erwarten, dass die Menschen den hohen Anforderungen gewachsen sind. Dann muss ich mich über hohe Abbrecherquoten nicht wundern. Der Pflegesektor benötigt Menschen mit unterschiedlichem Qualifizierungsniveau, zum Beispiel auch zweijährig Ausgebildete, die dann als Pflegeassistenten entsprechende Aufgaben in der Pflege übernehmen.

Wie sieht es im europäischen Vergleich aus?

Meyer: Was die Akademisierung der Pflegeberufe angeht, sind wir in Europa neben Österreich und Luxemburg das Schlusslicht.

Was kann gegen den Fachkräftemangel in Pflegeberufen helfen?

Meyer: Der Personalmangel in der Pflege hat viele Gründe: Sicher hat es mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu tun, "unattraktiven" Arbeitszeiten und einer Bezahlung, die nicht angemessen ist. Wir benötigen Modelle, um auch Berufsrückkehrern den Wiedereinstieg in den Beruf nach der Familienphase zu verbessern. Für eine echte Reform der Pflegeberufe hin zu einem modernen Dienstleistungsberuf müssen sich alle Akteure, zum Beispiel die Kliniken als Träger der Schulen, die Kassen, die Ärzteschaft, Hochschule und Politik aufeinander zubewegen. Wir wollen doch alle eine hohe gesundheitliche Versorgungsqualität für die Patienten, also für uns alle. Foto: Becker&Bredel

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