Saarbrücken Saarbrücken will Seniorenpolitik überarbeiten

Saarbrücken · Stadt, Regionalverband, Wohlfahrtsverbände, freie Träger und Sozialhilfeträger sehen sich gemeinsam in der Verantwortung.

 So geht’s auch: In einem Mehrgenerationenhaus hören Frauen und Kinder einer Seniorin zu, die etwas vorliest.    

So geht’s auch: In einem Mehrgenerationenhaus hören Frauen und Kinder einer Seniorin zu, die etwas vorliest.   

Foto: dpa/Fredrik von Erichsen

Die Alterspyramide hinterlässt in Saarbrücken dramatischere Spuren als vielerorts anderswo: Mehr als jeder dritte Bewohner der Landeshauptstadt ist heute schon über 60 Jahre und laut einer Prognose von Deutschlands renommiertem Altersforscher Prof. Andreas Kruse wird sich der Anteil der über 80-Jährigen von derzeit 5,3 Prozent bis zum Jahr 2040 auf 12 bis 13 Prozent mehr als verdoppeln. Wer aber leistet künftig eine zukunftsträchtige Daseinsvorsorge von Jung und Alt, mit mehr barrierefreien Einrichtungen über Einkaufs- und Behördenganghilfen für Senioren bis hin zu Mehrgenerationentreffs? Auf einer Fachtagung mit Prof. Kruse, dem Vorsitzenden der Altenberichtskommission an die Bundesregierung, Saarbrückens Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD) und der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, Elke Ferner (SPD), suchten am Montag Experten der Seniorenpolitik im Saarbrücker Rathaus nach Modellrezepten für eine „Politik für und mit älteren Menschen“.

„Die Bedeutung von Seniorenpolitik ist in allen Parteien zu gering“, beklagte der Vorsitzende des Saarbrücker Seniorenbeirates, Lothar Arnold. Neben drei Leuchtturmprojekten (Seniorensicherheitsberater, Seniorenfitnesstage und Netzwerke Gute Nachbarschaft) gebe es zwar viele schöne Programme wie das seniorenpolitische Konzept der Stadt von 2013, das von mehr barrierefreien Wohnungen über mehr zugängliche öffentliche Toiletten, deutlicher lesbare Beschilderungen, gut beleuchtete Straßen und Wege mit Ruhemöglichkeiten und maximal zehn Minuten Fußweg bis zum nächsten Supermarkt oder Lebensmittelgeschäft vorsieht. „Aber es mangelt an Umsetzung und Praxis“, monierte Arnold. Oberbürgermeisterin Britz sah die Stadt dagegen „nahe dran an den Menschen“. So habe Saarbrücken nicht nur als erste Stadt überhaupt einen Behindertenbeirat und einen Seniorenbeirat gebildet, sondern versuche auch nach dem Motto zu handeln: „Barrierefreiheit tut allen gut, ob Familien mit Kinderwagen oder älteren Menschen“. Bei der Absenkung von Bürgersteigen gebe es aber immer die einen, die das gut, und andere, die das schlecht fänden. Mit Hinweis auf viele ehrenamtlich engagierte Senioren in allen Stadtteilen sagte Britz: „Wir sind gut aufgestellt. Was nicht so funktioniert, sind die Finanzen“.

Staatssekretärin Ferner forderte, ältere Menschen, die Hilfe im Haushalt bräuchten, müssten das auch bezahlen können. Altersarmut müsse mehr bekämpft, vorhandene Seniorenangebote besser vernetzt werden. Ulli Heß und Dagmar Schackmann stellten das „Brebacher Modell - sozialraumorientierte Altenhilfe“ vor, bei dem sich in diesem Saarbrücker Ortsteil 30 vom Diakonischen Werk geschulte Stadteilhelfer um bis zu 200 ältere Menschen im Jahr kümmern, angefangen von Hilfen bei Haus- oder Gartenarbeit bis hin zu Rezeptabholungen oder ergänzenden Pflegehilfen. Der von Stadt, Land, Regionalverband und Diakonischem Werk gemeinsam finanzierte Jahresetat von 70 000 Euro sei aber derzeit nur bis Frühjahr 2018 gesichert. Ähnliche Seniorenprojekte gebe es in Alt-Saarbrücken, Malstatt und auf dem Wackenberg, hieß es. „Aber die meisten Bürger kennen solche Einrichtungen und Angebote nicht“, sagt Pensionärin Irene Scheidgen, früher Leiterin eines Call-Centers und Unternehmensberaterin. Sie präsentierte modellhaft das „Netzwerk Gute Nachbarschaft Eschberg“. Zwölf solcher Einrichtungen gibt es in Saarbrücken. „Wir treffen uns jede Woche auf dem Eschberg im Café der Lebenshilfe, machen Spielnachmittage, Ausflüge, Diskussionen oder Filmnachmittage“. Dazu hätten zwei Ehrenamtliche einen Besuchsdienst für ältere Leute unter dem Motto „Gemeinsam statt einsam“ gestartet.

Altersforscher Kruse, der als Festredner auch mit einer musikalischen Einlage am Piano brillierte, plädierte dafür, den traditionellen Begriff Seniorenpolitik zu relativieren. Junge und alte Menschen müssten mehr zusammengebracht und Mehrgenerationsprojekte vom Bund entsprechend besser gefördert werden. „Wir brauchen eine lebendige Bürgerschaft“, forderte er. Junge und Ältere sollten sich gegenseitig mehr unterstützen statt um bezahlbare Wohnungen, Arbeitsplätze und Lebensqualität zu konkurrieren.

Um soziale Benachteiligungen abzubauen sollten Bessergestellte auch freiwillig auf Leistungen verzichten können. Kommunen sollten „Anstifter für bürgerschaftliches Engagement“ sein. Guido Freidinger, Leiter des Amtes für soziale Angelegenheiten in Saarbrücken, kündigte an, das seit 2013 etwas ins Stocken geratene seniorenpolitische Konzept der Landeshaupstadt werde nochmals überarbeitet. „Dazu starten wir am 13. November die Verantwortungspartnerschaft neu zwischen Stadt, Regionalverband, Wohlfahrtsverbänden, freien Trägern und Sozialhilfeträgern“.

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