Dr. Hans Schales Afrika, die tickende Corona-Bombe

Homburg/Saarbrücken · Das Virus breitet sich auf dem Schwarzen Kontinent rasant aus. Hans Schales und sein Afrikaprojekt kämpfen in Simbabwe gegen die Seuche. Die bringt den Förderverein, der vom Saarland aus die Projekte des Ex-Chefarzts aus Dudweiler finanziert, an seine Grenzen.

 In Simbabwes Hauptstadt Harare trägt ein Mann einen Mundschutz. Die Menschen in der Schlange stehen für Lebensmittel an. Dicht gedrängt und ungeschützt. Sie wissen wenig über Corona. Der Staat informiert sie kaum.

In Simbabwes Hauptstadt Harare trägt ein Mann einen Mundschutz. Die Menschen in der Schlange stehen für Lebensmittel an. Dicht gedrängt und ungeschützt. Sie wissen wenig über Corona. Der Staat informiert sie kaum.

Foto: dpa/Tsvangirayi Mukwazhi

„Man kann blind kein Feuer löschen.“ Als Tedros Adhanom Ghebreyesus diesen Satz ausspricht, sieht man ihm die Verzweiflung an. Er ruft dazu auf: „Testen, testen, testen.“ Nur so könne die Ausbreitung des Corona-Virus bekämpft, ein Flächenbrand eingedämmt werden. Der 55-Jährige ist Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Und Afrikaner. Er stammt aus Eritrea. Der WHO-Chef ist Immunologe. In der Immunologie geht es um biologische und biochemische Grundlagen der körperlichen Abwehr von Krankheitserregern wie Viren. Wenn dieser Mann über Corona und Afrika spricht, dann weiß er, wovon er redet. Der Schwarze Kontinent war lange Zeit ein weißer Fleck in der Corona-Weltkarte. Und das, obwohl viele afrikanische Staaten enge Kontakte zu China pflegen, wo das Virus ausgebrochen war. Ghebreyesus mahnte in der vergangenen Woche, dass Afrika „aufwachen solle“ im Kampf gegen Corona: „Der beste Ratschlag an Afrika ist, sich auf das Schlimmste vorzubereiten – und heute damit anzufangen.“

Das scheint in Simbabwe nicht der Fall zu sein. Dort lebt der Saarländer Dr. Hans Schales seit 2001 und hilft mit seinem Afrikaprojekt. Die Informationen, die der in Saarbrücken ansässige Förderverein des Afrikaprojekts aus Simbabwe erhält, sind erschreckend: „Es gibt kein koordiniertes Informieren oder Organisieren im desolaten Gesundheitswesen Simbabwes. Desinfektionsmittel sind kaum vorhanden und landesweit gibt es nur wenige Intensivbetten.“

Statt, wie von WHO-Chef Ghebreyesus gefordert, zu handeln, sagt Simbabwes Verteidigungsministerin Oppah Muchinguri, die wohlgemerkt einen Uni-Abschluss hat: „Dieses Corona-Virus ist eine Strafe für jene Länder, die uns mit Sanktionen bestrafen. Gott bestraft sie jetzt.“ Ihr eigenes Land ist politisch und wirtschaftlich isoliert. Robert Mugabe hat in seiner Amtszeit als Präsident von 1987 bis 2017 eine Dikatur aufgebaut. Auch sein Nachfolger Emmerson Mnangagwa steht für Verfolgung, Folter und Massenmord. Simbabwes Elite beutet weiterhin das eigene Land aus und bereichert sich. Das Volk wird unterdrückt. Und durch Desinformation oder Vertuschung kleingehalten.

Das Beispiel Simbabwes zeigt, warum Experten befürchten, dass die Pandemie auf dem Schwarzen Kontinent besonders viele Todesopfer fordern wird. Afrika droht zur Corona-Bombe zu werden. Die schlechte Gesundheitsversorgung in den meisten Ländern ist das eine, das Virologen Sorgen bereitet. Vielerorts gibt es hohe Aids-, Tuberkulose-, Cholera- und Malaria-Raten. Dazu Unterernährung. Die Gesundheitssysteme – sofern überhaupt vorhanden – sind bereits überfordert. Nun kommt noch Corona dazu. Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité sagte über einen unkontrollierten Corona-Ausbruch in Afrika: „Da wird es Szenen geben, die wir uns heute noch nicht vorstellen können.“

Zwar ist die Bevölkerung Afrikas sehr jung. Und weltweit sterben insbesondere ältere Menschen an dem Virus. Doch auch hier macht das Beispiel Simbabwes wenig Hoffnung. „Die ältere Generation ist in Simbabwe durch Aids, Cholera und Hungersnöte kaum vorhanden und nur aus diesen Gründen nicht so sehr betroffen wie in Europa“, erklärt Oliver Schales, der Vorsitzende des Fördervereins des Afrikaprojekts und in Homburg auch bekannt als Direktor des Gymnasiums Johanneum. Der Sohn von Hans Schales gibt aber zu bedenken: „Die Menschen in Simbabwe sind grundsätzlich durch Armut und Vorerkrankungen geschwächt und zählen damit in hohem Prozentsatz zu sogenannten Risikogruppen.“ Mangelnde Aufklärung und Informationen für die Bevölkerung, groteske Begründungen wie die von Verteidigungsministerin Muchinguri oder Vertuschung der drohenden Seuche sind das andere, weshalb Experten Afrika als tickende Corona-Bombe betrachten. Seit Mitte Februar breitet sich das Virus auf dem Kontinent aus. Die Regionaldirektorin der WHO für Afrika, Matshidiso Moeti, spricht von einem „extrem schnellen Prozess“. In 43 der 54 afrikanischen Länder gibt es – Stand Dienstag – bestätigte Corona-Fälle.

Ein Grund für die rasante Ausbreitung auf dem riesigen Kontinent: Der durch die Pandemie in China und Europa vorhandene Informations-Vorsprung über das Virus wird verspielt. Auch hier dient Simbabwe als Beispiel, „weil kein koordiniertes Handeln bei Behörden möglich ist. Wenn in Deutschland Minister erklären, dass alle Waffen gegen Corona eingesetzt würden, dann ist dies in Simbabwe wirtschaftlich und im desolaten Gesundheitswesen kaum möglich. Es gibt keine Waffen“, sagt Oliver Schales.

Das Afrikaprojekt seines Vaters unterstützt in Simbabwe in einem Gebiet so groß wie das Saarland unter anderem 17 Schulen mit knapp 5000 Schülern sowie das St. Luke’s Hospital mit seinen zehn Außenkliniken. Die Schulen werden nun geschlossen. Die Folgen sind in einem der ärmsten Länder der Welt nicht abzusehen. Die vom Afrikaprojekt unterstützen Schulen sind für die Kinder auch Versorgungsstationen. Das Schulessen ist für viele die einzige Mahlzeit des Tages. Das Afrikaprojekt bereitet sich deshalb nicht nur auf die Corona-Pandemie vor. Sondern auch auf eine Hungersnot. Das bringt den Förderverein finanziell an seine Grenzen.

„Aus unserer Sicht steht Simbabwe schutzlos der Corona-Pandemie gegenüber“, sagt Oliver Schales. Bis Donnerstag gab es drei bestätigte Corona-Fälle – und einen Toten. Die Dunkelziffer in ganz Afrika dürfte sehr hoch sein. Das von WHO-Chef Ghebreyesus geforderte Testen findet vierlerorts nicht statt. „Bisher ist in Simbabwe noch kein weit verbreitetes Bewusstsein für die Corona-Gefahr entwickelt worden“, erklärt Oliver Schales: „Landesweit gibt es keine Testung!“

Das Nachbarland Südafrika, wo viele Simbabwer arbeiten, hat den größten Corona-Ausbruch in Afrika. Die Zahl der Infektionen ist dort bis Donnerstagabend auf 927 angestiegen. Präsident Cyril Ramaphosa verhängte eine 21 Tage dauernde Ausgangssperre für sein Land. Sie beginnt an diesem Freitag. Doch wer will diese in den Townships kontrollieren? Allein im Township Soweto in Johannesburg leben mindestens 1,2 Millionen Menschen auf engstem Raum. Bis zu 15 in einer Behausung. Die Polizei hat in diesen Armenvierteln kaum etwas zu sagen.

Ein Corona-Ausbruch dort, wo Menschen ohne Zugang zu Wasser und ohne Toiletten leben oder sich das WC mit mehreren Nachbarn teilen, wird verheerende Folgen haben. Zumal es in Südafrika nach Informationen des Spiegel-Magazins nur 974 Intensivbetten gibt – für eine Bevölkerung von 59 Millionen Menschen. Zum Vergleich: Deutschland mit knapp 81 Millionen Einwohnern hat etwa 28 000 Intensivbetten.

Dabei gilt Südafrikas Gesundheitssystem noch als eines der besten des Kontinents. Doch das „South African Center for Epidemiological Modelling and Analysis“ präsentierte erschreckende Hochrechnungen: Es geht von 87 900 bis 351 000 Corona-Toten allein in Südafrika aus. Zum Vergleich: Weltweit sind nach Angaben der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität, die Daten von der WHO sowie von nationalen Einrichtungen sammelt, bis am Donnerstagabend 22 993 Menschen an Corona gestorben.

In Südafrika bereitet man sich auf das Schlimmste vor. In Simbabwe mit knapp 18 Millionen Einwohnern soll es lediglich zwei bis drei Intensivbetten geben. Und die Situation im dortigen kaum vorhandenen Gesundheitssystem spitzt sich zu: Ärzte staatlicher Krankenhäuser sind in einen Streik getreten. Sie haben dies mit Mangel an Schutzausrüstung begründet. Tawanda Zvakada, Präsident des Ärzteverbands, sagte: „Wir werden nur zur Arbeit zurückkehren, nachdem die Regierung angemessene Maßnahmen unternommen hat, darunter geeignete Kleidung. Derzeit sind wir ungeschützt und es scheint niemanden zu interessieren.“ Der Bestand an Handschuhen, Mundschutzen und Kitteln reiche nicht aus.

Das St. Luke’s Hospital ist vom Streik nicht betroffen. Jedoch gibt es auch dort keine Schutzkleidung. Bis auf Restbestände aus Cholera-Zeiten. Diese 58 Anzüge sind aber nicht für den Schutz vor Corona geeignet. Zu kaufen gibt es Schutzkleidung in Simbabwe nicht. Auch deshalb werden jetzt die zehn Außenkliniken verstärkt mit Medikamenten von St. Luke’s aus beliefert, damit der Ambulanz-Betrieb im St. Luke’s Hospital abnimmt.

Das sind Maßnahmen, die vom Afrikprojekt und seinen Koordinatoren vor Ort in Simbabwe getroffen werden. Die dortige Regierung hat bisher wenig getan. Versammlungen von mehr als 100 Personen sind untersagt. Und die Grenzen geschlossen. Mehr nicht. Viele in Südafrika arbeitende Simbabwer nutzen die Zeit bis zum Eintreten der Ausgangssperre. Sie sind unterwegs nach Hause zu ihren Familien. Die Rückkehrer kommen über die grüne Grenze. Ein weiteres Problem neben unkontrollierter Einreise potentiell infizierter Personen ist mangelnde Information. „Von offizieller Seite gibt es wenig Aufklärung und die Bevölkerung informiert sich über soziale Netzwerke“, erklärt Oliver Schales. Das birgt enorme Gefahren. Durch soziale Medien in Afrika geistern vermeindliche Nachrichten, wonach Corona nur für Weiße gefährlich sei. Oder dass das Virus bei 26 Grad Celsius Außentemperatur nicht mehr überlebensfähig sei.

Hans Schales lebt seit 2001 in Afrika. Er hat in Simbabwe viele Katastrophen erlebt. Durch Aids, Cholera, Hungersnot oder Dürre. Der Ex-Chefarzt am Dudweiler St.-Josef-Krankenhaus berichtet gegenüber der SZ, er selbst sei über Corona „gut informiert und unterrichtet von meinen Kindern und Freunden aus aller Welt“. Auf die Frage, wie schlimm die nach Afrika übergeschwappte Corona-Welle werden könnte, und was ein solches Virus insbesondere für einen in vielen Bereichen vor sich hinsterbenden Staat wie Simbabwe bedeutet, antwortet der 82-Jährige: „Ich liebe meine zweite Heimat und habe die Hoffnung, dass es hier nicht so schlimm wird, denn Simbabwe kenne ich nur als einen sterbenden Staat ohne verantwortliche Führung. Das freundliche, hilfsbereite, arme Volk gab und gibt nicht auf.“ Und er schiebt nach: „Es hat einen guten Schutzengel verdient! Zu diesen Schutzengeln zählt auch das Afrikprojekt.“

 Dr. Hans Schales kümmert sich um ein Kind im St. Luke’s Hospital. Das Krankenhaus versucht sich so gut es geht zu rüsten. Mitarbeiter kontrollieren am Eingang, ob jemand Fieber hat. Sie tragen Schutzkleidung, die vor Cholera schützt – aber nicht vor Corona.

Dr. Hans Schales kümmert sich um ein Kind im St. Luke’s Hospital. Das Krankenhaus versucht sich so gut es geht zu rüsten. Mitarbeiter kontrollieren am Eingang, ob jemand Fieber hat. Sie tragen Schutzkleidung, die vor Cholera schützt – aber nicht vor Corona.

Foto: Anne Schales
 Dr. Hans Schales und da sSt. Luke's Hospital

Dr. Hans Schales und da sSt. Luke's Hospital

Foto: Marcus Kalmes

Sein Sohn Oliver Schales sagt: „Zurzeit kann nur Aufklärung und Information sowie Vermeidung von sozialen Kontakten helfen. Unsere Mitarbeiter vor Ort, unsere Projektkoordinatoren im Krankenhaus und in den Schulen organisieren das zurzeit Notwendige und Mögliche. Der Förderverein wird wie in allen Krisen der letzten 20 Jahren alles unternehmen, um den Menschen zur Seite zu stehen.“ Aber die jetzige Situation bringe ihn an seine Grenzen. Doch anders als Simbabwes Regierung hat das Afrikaprojekt den Aufruf von WHO-Chef Ghebreyesus gehört: „Der beste Ratschlag an Afrika ist, sich auf das Schlimmste vorzubereiten.“

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