Gondwana in St. Ingbert?

St. Ingbert. Zu Beginn stand ein bedenklicher Mangel an visionärem Mut bei den "roten" Stadtoberen, so sahen es Kulturleute und Medien. Heute, da der St. Ingberter CDU-Oberbürgermeister Georg Jung die Alte Baumwollspinnerei in St

 Ein Modellprojekt? So soll das St. Ingberter "Haus der Begegnung" 2011 aussehen. Foto: Deller

Ein Modellprojekt? So soll das St. Ingberter "Haus der Begegnung" 2011 aussehen. Foto: Deller

St. Ingbert. Zu Beginn stand ein bedenklicher Mangel an visionärem Mut bei den "roten" Stadtoberen, so sahen es Kulturleute und Medien. Heute, da der St. Ingberter CDU-Oberbürgermeister Georg Jung die Alte Baumwollspinnerei in St. Ingbert endlich zum Stadtentwicklungs-"Katalysator" erklärt hat, lautet die Anklage auf das Gegenteil von Kleinmut: Verlust an Bodenhaftung, Millionen-Verschwendung. Mancher Oppositions-Politiker zieht gar Parallelen zum Redener Fördergelder-"Grab" Gondwana. In der Kritik: die enge öffentlich-private Partnerschaft (Public-Private-Partnership), die die St. Ingberter Verwaltung mit dem Besitzer der Baumwollspinnerei, Werner Deller, eingegangen ist. Zehn Jahre lang wurde um das Nutzungs-Konzept des Denkmals gerungen. Nun ist es gefunden: Bis August 2011 soll es fertig sein, das neuartige Jugend-, Kultur- und Bildungszentrum. Als dessen Herzstück fungiert das dorthin verlagerte Albert-Weisgerber-Museum, das eine gesamte Etage und Räume im Erdgeschoss belegt. Hinzu kommen die Kinowerkstatt, eine private Tanzschule, eine "junge" VHS. Zusätzlich sollen Absolventen der HBK Saar und Schulen Seminarräume und Werkstätten bekommen, ein Multifunktionsraum (Vorträge) wird geschaffen, Gastronomie zieht ein. Inhaltlich werden sich alle Institutionen an den Zielen des Unesco-Biosphären-Reservates Bliesgau ausrichten, erläutert Marika Flierl, Leiterin des Geschäftsbereiches Kultur, Bildung und Familie: an (Kultur-)Landschaftsschutz, Umwelterziehung, naturschonendem Wirtschaften. Damit stünde das landesweit einzigartige "Haus der Begegnung" für "nachhaltige" kulturelle Gestaltungskompetenzen, werde ein "Leuchtturmprojekt". Auch die CDU beschwört das "Alleinstellungsmerkmal" und erhebt die Baumwollspinnerei zu einem Motor für Stadtentwicklung und gar für Biosphären-Tourismus. Kurz: Die einst als randständiges Aschenputtel wahrgenommene "Industrieruine" wird zur Heilsbringerin. Das kostet: Die Stadt erwirbt rund die Hälfte des 10 000 Quadratmeter großen Bauwerkes. Allein 2740 Quadratmeter sind für das Museum vorgesehen. Das war ursprünglich ganz anders vorgesehen. Nur eine Etage wollte Eigentümer Deller der Stadt verkaufen, den Rest für eigene Zwecke nutzen, etwa für Lofts oder für eine Dependance seiner K4-Kunst-Galerie, das Erdgeschoss an Gewerbe und Handwerk vermieten. Doch mittlerweile segelt das Projekt unter öffentlich-kommunaler Flagge. Obwohl Deller Bauherr und Bauträger ist. Die Finanzierung? 4,8 Millionen Euro kosten Erwerb und Einrichtung der Museums-Flächen, davon trägt die Stadt nur 1,8 Millionen; den größeren Rest spendiert das Land (Wirtschaftsministerium, Umweltministerium). Für die Herrichtung der Flächen im Erdgeschoss für das Bildungszentrum, das kommunale Kino und die Tanzwerkstatt werden 2,5 Millionen fällig. Auch hier fließen Landesmittel (1,875 Millionen). Insgesamt, so Stadtbaudirektor Martin Ruck, werde der städtische Haushalt nur mit 2,425 Millionen belastet, "frei gesetzt" würde aber ein Investitionsvolumen von 14 Millionen, denn auch Deller investiere rund 7 Millionen. Deshalb hält Ruck den Gondwana-Vergleich für "diffamierend". Denn nicht Deller, sondern die Stadt erhalte in diesem Fall die Fördermittel und erwerbe damit hochwertiges innerstädtisches Eigentum für 7,3 Millionen Euro. Und Deller, der nach eigenen Aussagen vor öffentlichen Gutachtern jeden Investitions-Heller offen gelegt hat, wundert sich: "Wenn PPP-Investoren von Stadträten so behandelt werden, kann man Industriekultur-Projekte in Innenstädten vergessen." Meinung

Grelles statt schiefes Licht

Von SZ-Redakteurin Cathrin Elss-Seringhaus In Reden wie in St. Ingbert behängt die Politik Revitalisierungs-Projekte mit fragwürdigen Formulierungs-Girlanden. Denn mit "Modellprojekten" lassen sich Landes-Fördermittel nun mal besser abgreifen und skeptische Stadträte einfangen. Fakt ist, dass die Umnutzung von Ex-Industriebauten Privatinvestoren überfordert. Also logieren in Reden Landes-Behörden, in St. Ingbert schiebt man kommunale Einrichtungen unters Denkmal-Dach. Weit mehr als geplant. Schön geschwiegen werden die Folge-Betriebs-Kosten. Das ist unlauter. Und unnötig, denn die Grundsatz-Entscheidung stimmt: In dieses großartige Bauwerk gehört die Öffentlichkeit. Wie viel, das wäre zu diskutieren.Jedenfalls hat der Investor in einem aufreibenden Hürdenlauf dafür gesorgt, dass aus der Spinnerei weder eine Ruine noch ein Ramschladen wurde. Es ist falsch, ihn ins schiefe Licht zu rücken. Vielmehr gehört sein Projekt ins grelle Licht der Öffentlichkeit, die Stadtverwaltung ins Sperrfeuer kritischer Fragen. Dann verbietet sich der Gondwana-Vergleich.

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