Aktionstag Handicap So wird ein Fahrzeug behindertengerecht

St. Ingbert · Menschen mit Handicap wollen mobil bleiben. Dazu müssen ihre Autos umgebaut werden und sie selbst müssen wieder in die Fahrschule.

 Nr. 3: Dieser VW Polo wurde behindertengerecht umgebaut. Der Umbau kostete etwa 35 000 Euro. Im Vordergrund sieht man ein Rollstuhlverladesystem und ein Rutschbrett neben dem Fahrer.

Nr. 3: Dieser VW Polo wurde behindertengerecht umgebaut. Der Umbau kostete etwa 35 000 Euro. Im Vordergrund sieht man ein Rollstuhlverladesystem und ein Rutschbrett neben dem Fahrer.

Foto: Stephanie Schwarz

Ein Rutschbrett, ein Multifunktionsdrehknopf und ein Handbediengerät für Bremse und Gas. Vielen Autofahrern sagen diese Dinge gar nichts, denn sie haben das Glück, nicht auf sie angewiesen zu sein. Einigen Menschen mit Behinderung helfen diese Vorrichtungen jedoch selbstständig, trotz Rollstuhl oder Folgen eines Schlaganfalls, weiterhin Auto fahren zu können. Auf dem Aktionstag „Mobil, flexibel und unabhängig bleiben- trotz Handicap“ im Autohaus Weiland in St. Ingbert am kommenden Samstag, 29. Juli, von 8 bis 14 Uhr werden Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen über mögliche Fahrzeugumbauten aufgeklärt und beraten. Denn ein Fahrer mit einem Handicap braucht ein für ihn speziell umgebautes Auto. Es würden sich nicht genug Autohäuser im Saarland um diese Personengruppen kümmern, sagt Nils Momper, Leiter des Autohauses Weiland in St. Ingbert: „Wir betrachten es als unsere soziale Verantwortung, Menschen mit Handicap persönlich und fachkundig zu beraten.“ Jedoch sei auch er, was eine fachspezifische Beratung in Bezug auf Umbaumöglichkeiten oder Antragsformulare angehe, leider überfragt. Aus diesem Grund sei er die Zusammenarbeit mit Familie Nagel aus Heusweiler eingegangen. Vater Karl-Heinz Nagel ist Fahrlehrer und bildet Menschen mit Behinderung aus und sein Sohn Normen Nagel baut Fahrzeuge behindertengerecht um. „Meine Mitarbeiter und ich können also Interessierte über mögliche Fahrzeugtypen beraten, die sich gut für einen Umbau eignen und Familie Nagel übernimmt die Beratung für Umbau und Führerschein“, erklärt Momper. „Die Zusammenarbeit passt also perfekt,“ ergänzt er.

Handicap-Fahrzeuge von der Stange gäbe es nicht. „Der Mobilitätsumbau wird besprochen, die Teile werden angefertigt, individuell auf den Fahrer zugeschnitten und eingebaut“, erklärt Nagel senior. In seiner Fahrschule in Heusweiler lernen Menschen mit einem Handicap in einem umgebauten Auto auch weiterhin mobil zu sein. „Es gibt bei Menschen mit Behinderung zwei Gruppen: Die, die von Geburt an im Rollstuhl sitzen oder ein bestimmtes Handicap haben, müssen ihr Fahrverhalten nicht umlernen, denn sie haben nie etwas anderes gemacht“, erklärt er. Diejenigen jedoch, die nach einem Unfall mit einem Handicap leben, beispielsweise einer Beinamputation, die müssten sozusagen neu programmierten werden. Nagel: „Wenn jemand es dreißig Jahre lang gewohnt ist, dass er mit rechts Gas gibt, nach einer Amputation das Pedal aber nach links wandert, dann kann es schon mal zu Verwechslungen kommen.“ In einem unaufmerksamen Moment oder in einer Schrecksituation könnte der Fahrer aus Gewohnheit die Kupplung drücken und zu spät realisieren, dass dort nun das Gaspedal ist. Diese Umgewöhnung könne in vielen Fällen lange dauern und sei schwieriger. „Ich habe schon Fahrer gesehen, die plötzlich nach vorne geschossen sind, weil sie den Umgang mit diesem System nicht gewohnt waren“, meint Karl-Heinz Nagel.

 Nr. 2: Ein Multifunktions-Drehknopf mit einem Bedienelement für Blinker, Licht und Scheibenwischer erleichtert Menschen mit Handicap das Autofahren.

Nr. 2: Ein Multifunktions-Drehknopf mit einem Bedienelement für Blinker, Licht und Scheibenwischer erleichtert Menschen mit Handicap das Autofahren.

Foto: Stephanie Schwarz

Vor etwa 37 Jahren, nach einer Begegnung mit einem Rollstuhlfahrer im Krankenhaus, entschied sich Fahrlehrer Nagel, Menschen mit Behinderung auszubilden. Sein Sohn ist ihm beruflichen in den Themenbereich gefolgt. Nagel junior baut Fahrzeuge in seinem KFZ Meisterbetrieb „Reha Car Tec“ behindertengerecht um. Dazu gehören nicht nur Autos. Einige wenige Motorradliebhaber wollten trotz Rollstuhl nicht auf den Spaß auf zwei Rädern verzichten und ließen sich ihr Motorrad rollstuhlkompatibel umbauen. So etwas gehe dann gleich mal in die 10 000er Beträge, erklärt der Sohn.

Das Fahrschulauto der Familie Nagel, ein schwarzer VW Polo, hat der Sohn komplett umgebaut. Ein Rutschbrett am Sitz hilft Rollstuhlfahrern sich in das Auto zu heben. Ein Multifunktionsdrehknopf mit Bedienelement für Blinker, Licht, Hupe und Scheibenwischer vereinfacht das Fahren für Menschen, die beispielsweise halbseitig gelähmt sind (siehe Bild Nummer zwei). Das Verlade-System im Sitzbereich hinter dem Fahrer nimmt den Rollstuhl, verstaut ihn und holt diesen auf Knopfdruck wieder hervor (siehe Bild Nummer drei). Der Umbau des Polo habe etwa 35 000 Euro gekostet. Eine hohe Summe, die oftmals nicht oder nur teilweise von Versicherungen übernommen wird.

Und die technischen Möglichkeiten gehen noch weiter: Ein Rückspiegel, der blinkt, wenn sich jemand oder etwas im toten Winkel befindet, eine Schlaufe an der Tür, wenn ein Fahrer den Griff nicht erreichen kann, oder eine Sprachsteuerung. Der Mechanik scheinen hier keine Grenzen gesetzt. „Mit der derzeitigen Technik gibt es Möglichkeiten ohne Ende, auf Menschen mit Behinderung individuell eingehen zu können“, sagt Vater Nagel und dreht am Lenkrad um zu demonstrieren wie leicht die Servolenkung ist. „Normal sind es neun Newtonmeter. Dieses Auto hat nur sechs Newtonmeter und ist damit sehr leicht zu lenken.“

Seine Fahrschüler kommen nicht nur aus dem Raum Heusweiler oder St. Ingbert. „Wir haben Kunden aus dem gesamten Saarland und den angrenzenden Regionen, zum Beispiel Kusel, Saarburg und Trier“, sagt Karl-Heinz Nagel. Derzeit würden sogar Anfragen aus Luxemburg und Frankreich vorliegen. Fahrstunden seien das eine, aber jeder Fahrer mit einem Handicap bräuchte auch ein Fahrzeug, in dem er sich wohl fühlt, gut sitzt und dass sich zum Umbau eignet. Aus diesem Grund suchte Vater Nagel seit Jahren nach einem Kooperationspartner, habe jedoch viele Absagen erhalten. „Erst das Autohaus Weiland hatte ein offenes Ohr für unsere Anliegen“, erzählt er. Dort könnten Menschen mit Handicap Probe sitzen, ein Gefühl für das Auto bekommen und über die Umbaumöglichkeiten aufgeklärt werden. „Wir bieten den Fahrern mit Handicap die komplette Fahrzeugpalette, vom Kleinwagen bis zum Wohnmobil an“, fügt Momper abschließend hinzu.

 Nr. 1: Autohaus Weiland, Saarbrückerstraße 30 a, in St. Ingbert, organisiert den Aktionstag am Samstag, 29. Juli, von 8 bis 14 Uhr.

Nr. 1: Autohaus Weiland, Saarbrückerstraße 30 a, in St. Ingbert, organisiert den Aktionstag am Samstag, 29. Juli, von 8 bis 14 Uhr.

Foto: Stephanie Schwarz

Folgende Firmen sind am Aktionstag vor Ort: Fahrschule Nagel, Reha Car Tec, Hager - Athletik und Gesundheit, prowin international und Mobilcenter Zawatzky.

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