Saarbrücken Der größte Bodenschatz des Saarlands

Saarbrücken · In saarländischer Erde lebt eine überraschende Vielfalt an Mikroben. Wissenschaftler des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung in Saarbrücken suchen in diesem Lebensraum neue Wirkstoffe gegen multiresistente Keime. Und dafür benötigen sie Hilfe.

 Die Mikrobiologen Daniel Krug, Ronald Garcia und Anna-Lena Huber (von links) betreuen am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland  das Projekt „Sample das Saarland“. Die Suche nach Wirkstoffen aus Bodenbakterien  soll in diesem Sommer bundesweit ausgedehnt werden.

Die Mikrobiologen Daniel Krug, Ronald Garcia und Anna-Lena Huber (von links) betreuen am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland das Projekt „Sample das Saarland“. Die Suche nach Wirkstoffen aus Bodenbakterien soll in diesem Sommer bundesweit ausgedehnt werden.

Foto: Iris Maria Maurer

Wenn das Wort „Pandemie“ fällt, denken wir alle an Corona. Doch das ist nicht das einzige globale Gesundheitsrisiko – und auf lange Sicht betrachtet auch nicht das größte. Wenn die Weltgesundheitsorganisation WHO neuerdings von der „Stillen Pandemie“ spricht, dann meint sie damit nicht den Covid-19-Erreger, sondern die schnell wachsende Zahl der Bakterien, gegen die Antibiotika nichts mehr ausrichten. In jedem Jahr sterben in Deutschland nach einem Bericht der Uni Witten/Her­decke mehr Menschen an Folgen solcher Infektionen als im Straßenverkehr. Das Robert-Koch-Institut beziffert die Zahl der Opfer in der EU auf 33 000, die Weltgesundheitsorganisation die der weltweiten Todesfälle auf 700 000. Die britische Regierung schätzt, dass  im Jahr 2050 mehr Menschen an derartigen Infektionen sterben werden als heute an Krebs.

Die wesentlichen Gründe für die Entwicklung sind bekannt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden zu wenig neue antibakterielle Wirkstoffe entwickelt und der Umgang mit den vorhandenen war zu lax. Die Pharmabranche hielt sich mit Investitionen zurück, weil sich mit neuen Antibiotika, die als Reserve-Medikamente zurückgehalten werden müssen, nicht viel verdienen lässt. Die Entwicklung eines Antibiotikums ist zudem sehr aufwendig. Etwa 1,5 Milliarden Euro kostet die Entwicklung, schätzt Professor Rolf Müller, Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (Hips). 

Doch wofür die Pharmaforschung riesigen Aufwand treiben muss, darüber verfügt Mutter Natur möglicherweise schon längst in ihrer Schatzkiste mikrobiologischer Wirkstoffe. Das ist der Gedanke hinter einer Initiative des Saarbrücker Helmholtz-Instituts. „Sample das Saarland“ heißt die Mitmach-Aktion, bei der Hips-Forscher neue antibakterielle Naturstoffe suchen, die gegen multiresistente Keime wirken. Das Pharma-Institut setzt dabei auf Hilfe aus der Bevölkerung, erklären Dr. Daniel Krug und Alwin Hartmann. Die beiden Saarbrücker Wissenschaftler untersuchen Bodenproben aus allen Teilen des Saarlands – wobei ihre Aufmerksamkeit sogenannten Myxobakterien gilt. Diese stäbchenförmigen Raubbakterien ernähren sich von anderen Mikroben und können sich fortbewegen. Sie nutzen bei ihrer Jagd ein komplexes Arsenal biochemischer Kampfstoffe. Und in diesem riesigen Gen-Pool – das Genom der Myxobakterien entspricht einem Drittel des menschlichen Erbguts – suchen die Saarbrücker Pharmazeuten medizinisch verwertbare Substanzen. Myxobakterien leben unter anderem im Erdboden. Deshalb benötigen die Hips-Wissenschaftler für ihre Analysen Bodenproben. Das war der Grundgedanke hinter der im Jahr 2017 gestarteten Aktion „Sample das Saarland“. Aus über 700 Proben, die in den vergangenen fünf Jahren rund 300 Hips-Helfer einreichten, seien bereits mehrere Wirkstoff-Kandidaten isoliert worden, die künftig in weiteren Forschungsarbeiten am Saarbrücker Institut genauer untersucht werden, erklärt Daniel Krug. Diese Ausbeute sei auch für die Pharmazeuten überraschend gewesen, erklärt Rolf Müller. „Man erwartet ja eigentlich eine solche mikrobiologische Vielfalt nicht unbedingt vor der eigenen Haustür.“

Wer sich bei der Mitmach-Aktion des Saarbrücker Helmholtz-Instituts beteiligen möchte, braucht dazu wenig mehr als gute Wanderschuhe. Die Erdproben sollen die Hips-Helfer in möglichst vielen Landesteilen sammeln. Das Institut stellt seinen Bürger-Wissenschaftlern spezielle Sets zur Verfügung: einen blauen Plastiklöffel, sterile Plastiktüten, eine Lupe und eine Anleitung, wie und wo der Löffel Erde ausgebuddelt werden soll. Jede Probe wird danach digital auf der Webseite des Instituts registriert. Mit der Arbeit ihrer saarländischen Helfer sind die Forscher hochzufrieden. „Gegenüber professionell entnommenen Proben haben die Amateur-Proben keine wissenschaftlichen Nachteile“, heißt es in einer Mitteilung des Instituts. In einem Kubikzentimeter Erdreich könnten mehrere Milliarden Bakterien vorkommen, erklären die Saarbrücker Forscher. Die Analyse einer derart großen mikrobiologischen Vielfalt hätten erst neue Verfahren der sogenannten Metagenomik möglich gemacht, die genetisches Material direkt in Umweltproben analysieren kann. Die Saarbrücker Wissenschaftler versprechen jedem ihrer Helfer eine Rückmeldung. Weil die Analysen aber aufwendig seien, könne da allerdings einige Zeit ins Land gehen, erklärt Daniel Krug.

In diesem Sommer will das Hips sein bisher rein saarländisches Umweltprobenprojekt auf ganz Deutschland ausdehnen. Unter der Überschrift „Bodenbakterien – die mikrobielle Schatzkiste“ geht es an Bord der MS Wissenschaft. Diese schwimmende Wanderausstellung des Bundesforschungsministeriums stellt einmal im Jahr wissenschaftliche Mitmachprojekte in ganz Deutschland vor und soll den Dialog zwischen Bürgern und der Forschung verbessern. Die Wanderausstellung zählt in jedem Jahr rund 80 000 Besucher.

Vom 5. bis zum 8. August geht die 100 Meter lange MS Wissenschaft in Saarbrücken vor Anker. Die Besucher können dort Myxobakterien unterm Mikroskop betrachten und eine Ausrüstung zum Probensammeln mitnehmen. 

 In der schwimmenden Ausstellung der MS Wissenschaft soll das Hips-Projekt durch ganz Deutschland reisen. Das Schiff, hier ein Archivbild aus dem Jahr 2014, ankert im August wieder in Saarbrücken.

In der schwimmenden Ausstellung der MS Wissenschaft soll das Hips-Projekt durch ganz Deutschland reisen. Das Schiff, hier ein Archivbild aus dem Jahr 2014, ankert im August wieder in Saarbrücken.

Foto: Oliver Dietze

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