Ein Engel zwischen Himmel und Erde

Friedrichsthal/Saarbrücken. "Ich habe einen wahren Engel kennengelernt." Mit diesen Worten beginnt die anrührende Weihnachtsgeschichte von Petra Pabst (Foto: privat). Diese Geschichte ist geeignet innezuhalten und unsere gelegentlichen Vorurteile zu hinterfragen. Vorurteile gegenüber Menschen, die wir oft nur am Rande wahrnehmen

 Bei seinem Freund, dem Maronen-Verkäufer Andreas Wagner, der einen Stand in der Bahnhofstraße betreibt, kann sich Robert Kremer immer mal wieder ein bisschen aufwärmen. Fotos: Becker & Bredel

Bei seinem Freund, dem Maronen-Verkäufer Andreas Wagner, der einen Stand in der Bahnhofstraße betreibt, kann sich Robert Kremer immer mal wieder ein bisschen aufwärmen. Fotos: Becker & Bredel

Friedrichsthal/Saarbrücken. "Ich habe einen wahren Engel kennengelernt." Mit diesen Worten beginnt die anrührende Weihnachtsgeschichte von Petra Pabst (Foto: privat). Diese Geschichte ist geeignet innezuhalten und unsere gelegentlichen Vorurteile zu hinterfragen. Vorurteile gegenüber Menschen, die wir oft nur am Rande wahrnehmen. Es ist dies die Geschichte von Robert Kremer, der Petra Pabst eine große Freude bereitet hat.

Nachfolgend die Story, die sie uns erzählte: Vor wenigen Tagen bummelte sie - als Sekretärin der Sulzbacher Musikschule ist sie vielen Leuten bekannt - in der Saarbrücker Europa-Galerie. Nach den ersten Einkäufen bemerkte sie plötzlich, dass jemand ihre Handtasche geöffnet und den Geldbeutel entwendet hatte. Der Schreck war natürlich groß. Sofort ging sie zur Polizei und erstattete Anzeige. Und ließ die Bankkarten sperren. Der Einkaufstag war damit natürlich beendet.

Tags darauf jedoch erhielt sie den unerwarteten Anruf eines Verkäufers heißer Kastanien in der Bahnhofstraße. Er hatte die Telefonnummer durch eine Visitenkarte, die im Geldbeutel von Petra Pabst steckte. Andreas Wagner ("Andi") berichtete, dass der Geldbeutel gefunden worden sei - und zwar von Robert Kremer. Dieser Mann lebt nach Auskunft der Polizei in einer kleinen Gartenlaube am Rande der Stadt. Er bringt sich tagtäglich dadurch über die Runden, dass er in der Fußgängerzone leere Pfandflaschen aus Mülleimern sammelt. Petra Pabst: "Dabei ist ihm mein Geldbeutel in die Hände gefallen, den vermutlich der Dieb in den Abfall geworfen hatte." Alle Papiere waren noch drin, nur das Bargeld fehlte. Überglücklich fuhr die Frau aus Friedrichsthal nach Saarbrücken, um ihr Portemonnaie abzuholen. Da erfuhr sie vom Maronen-Verkäufer, dass Robert Kremer beim Flaschensammeln öfter mal auf Diebesgut stößt. "Dabei trägt er immer Sorge, dass der Besitzer, sofern ausfindig zu machen, durch den Kastanienverkäufer, der ein Handy hat, informiert wird, damit der rechtmäßige Besitzer seine gestohlenen Sachen auch wieder zurück erhält. Ich konnte das kaum glauben und machte mich in der Bahnhofstraße auf die Suche nach diesem Herrn."

Es war nicht schwer, ihn ausfindig zu machen. Warm angezogen mit Wollmütze und einem weißen Rauschebart, fand Petra Pabst ihn schnell auf seiner täglichen Route - ein Fahrrad schiebend mit Taschen am Lenker, die voller Leergut waren. Unsere Leserin dankte ihm von Herzen für seine Mühe, ihr den Geldbeutel wieder zukommen zu lassen. Darin waren auch noch die Münzen. Petra Pabst unterhielt sich eine Weile mit dem 73-Jährigen, der ihr erklärte, dass er "zwischen Himmel und Erde" schlafe. Und: Es sei der mittlerweile 34. Geldbeutel, den er seinem rechtmäßigen Besitzer wieder habe zurückführen können. Den weitesten Weg, so erzählte er, habe mal ein Geldbeutel gehabt, den er nach Japan zurückschickte zu seiner Besitzerin, die in Saarbrücken auf einer Messe zu Besuch war.

Petra Pabst wollte sich bei dem ehrlichen Finder erkenntlich zeigen. Der aber wiegelte ab mit der Bemerkung: "Ich brauche nichts. Ich habe alles, was ich brauche." Nicht mal einen neuen Schlafsack oder ähnliches wollte er haben. "Er ist ein sehr bescheidener, gottesgläubiger, freundlicher und kommunikativer Herr mit klarem Blick und schönen Ansichten", sagt unsere Leserin. Die Vorurteile, die man gewöhnlich habe (Alkoholiker, Faulenzer etc.) würden auf ihn nicht zutreffen. Die Bescheidenheit und Ehrlichkeit dieses Mannes haben Petra Pabst sehr beeindruckt und berührt: "Ich erkläre ihn hiermit zu meinem Engel dieser Weihnacht."

Sie wünscht sich obendrein, dass unsere Leser ebenso berührt sind und dass in dieser Zeit des Konsums auch mal an die gedacht wird, die am Rande unserer Gesellschaft leben: "Jeder Einzelne hat eine Geschichte, ein Schicksal, das ihn in diese Situation gebracht hat."

Der SZ-Fotograf hat Robert Kremer am Montag bei seinem Freund Andreas Wagner am Maronenstand getroffen. Dort hat er sich, wie so oft, ein bisschen gewärmt und ein Schwätzchen gehalten. Dann zog er wieder los - Flaschen suchen. Weil auch in der Weihnachtszeit kein Geld vom Himmel fällt.

"Er ist ein sehr bescheidener, gottesgläubiger und freundlicher Herr."

 Vom Pfand weggeworfener Flaschen lebt Robert Kremer.

Vom Pfand weggeworfener Flaschen lebt Robert Kremer.

 Petra Pabst

Petra Pabst

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