Geisterbahn-Gefühl im Kunsthaus Die Untiefen der Internetkultur und die Normalität der Gier

Luxemburg · Luxemburger „Casino Luxembourg – Forum d'art contemporain“ zeigt junge, abgefahrene und düstere Popkunst von Ben Wheele und Rachel Maclean.

 Eigen, grell und doch düster, wie die Untiefen des Internets: Die Animationswelt von Ben Wheele steht unter dem Titel „Deep Dark Dank“.  Foto: Ben Wheele

Eigen, grell und doch düster, wie die Untiefen des Internets: Die Animationswelt von Ben Wheele steht unter dem Titel „Deep Dark Dank“. Foto: Ben Wheele

Foto: Ben Wheele

Erstmal ist alles stockdunkel. Wenn die Augen sich dran gewöhnt haben, wird es heller, Farben werden sichtbar. Dann fällt der ganze Lärm auf, ein bisschen wie Kirmes. Es grinsen deformierte Punk-Figuren aus Videoclips heraus, und aufgemalte Neonmonster leuchten an der Wand, auf einem Bildschirm läuft eine eckige Animation im Stil der 90er. Darin beißt ein, offensichtlich an Parodontose leidender, Saurier einem Mann den Kopf ab. Irgendwo miaut eine Katze, gluckert ein Abguss und klackert eine Spraydose, die geschüttelt wird. Ein ziemliches Kunterbunt.

Der Kunstfan, der sich im Erdgeschoss des Luxemburger Kunsthauses „Casino Luxembourg – Forum d‘art contemporain“ umschaut, taumelt hinter einem Vorhang direkt in eine begehbare Installation des britischen Animationsfilmers und bildenden Künstlers Ben Wheele. In dem dunkel verhangenem Raum flimmern über fünf Bildschirme sieben verschiedene Kurzanimationsfilme von Wheele in Dauerschleife, ihre englischen Tonspuren laufen laut und konkurrieren miteinander. Der Engländer, Jahrgang 1987, beschäftigt sich mit düsteren Memes – aus dem Zusammenhang gerissenen Minimedieninhalten wie Fotos, Videoausschnitten oder Animationen, die mit einer grotesken oder gesellschaftskritischen Pointe in den Sozialen Medien verbreitet werden, – und der dunklen Seite von Youtube, das in kuriosen Videos Horrorgeschichten verbreitet. Er führt die Genres, die sich auf der Videoplattform etabliert haben, exemplarisch vor, in dem er seine eigenen dreht und so eine Scheinwirklichkeit vorgaukelt. In einem Film wird seine harmlose Spielzeugfigur „Mertie“ von Spambots manipuliert und zur Verbreitung schädlicher Inhalte missbraucht.  Was Wheele versucht, ist ein greller Abgesang auf den vermeintlichen Unschuldsverlust der Internet-Gemeinschaft. In dem Clip „Decoration“ verbindet er die Ästhetik von Disneys Zeichentrickfilmklassiker „Schneewittchen“ mit der Groteske urbaner Legenden: Hier tanzen Gerippe mit einem toten Hamster, welcher sich an seiner Prinzessin rächt, indem er ihr ein Baby mit Hamsterkopf beschert. So skurril wie trashig.

Am Ende kann der Besucher die vielstimmige Tonkulisse zwar zuordnen. Das heißt aber nicht, dass er mehr weiß als vorher. Der Ton der Videos wird von anderen Klängen überlagert, und selbst, wenn man sie mehrmals schaut, kommt man nicht dahinter. Schließlich hat man das beklemmende Gefühl, Verrätselungen gegenüberzustehen, deren Schlüssel im Text oder einem der anderen Filme liegt. Diese Überreizung der Sinne ist gewollt und erreicht. Dieser Eindruck einer leichten Desorientierung durch die fremd-vertrauten Reize ist nicht unangenehm, und das düstere Durcheinander weckt Neugier. Aber die dunklen Seiten der Internetkultur als blinde Flecken des Unbewussten und als Tummelort grausamer Hässlichkeiten, neu ist das nicht.

Auf Gesellschaftskritik setzt die Schottin Rachel Maclean, Jahrgang 1987, in ihren extravaganten und schrillen Digitalvideos. Ihr 60-Minüter „Feed Me“ läuft gleich im Raum nebenan und passt thematisch. Hier treffen Jugendwahn, Leistungsgesellschaft, Sexualisierung der Kindheit und Diktatur des Glücklichseins in einer Hauptfigur Marke Britney Spears aufeinander. Maclean verbindet Elemente der Popkultur von „Schneewittchen“ bis „It“ und teilt in ihrer bonbonfarbenen, doch düsteren Satire gegen eine Welt aus, in der die Gier nach Ruhm, extremen Gefühlen und Konsum normal sind.

Sowohl die Videoclip-Installation von Ben Wheele als auch Rachel Macleans Video sind wie ein Ritt mit einer guten Geisterbahn – ziemlich abgefahren und kurzweilig, wobei das Lachen im Halse stecken bleibt. Bloß geht es nicht weiter in die Tiefe, die Werke überzeugen, aber stoßen keine neuen Gedanken an. Auch schade, dass eine Einordnung der beiden Künstler zu kurz kommt. Inwiefern beide wichtige Vertreter ihrer Kunst sind, oder nicht, oder wie ihre Zeitgenossen diese Themen umsetzen, bleibt im Dunkeln.

Begehbare Animations-Installation „Deep Dark Dank“ von Ben Wheele und digitales Video „Feed Me“ von Rachel Maclean bis zum 6. September im Casino Luxemburg. Geöffnet montags, mittwochs bis sonntags von 11 bis 18 Uhr. Eintritt frei.
www.casino-luxembourg.lu

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